Texte von Wolfgang von Brackel und Norbert J. Stapper.

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Stand: Dezember 2023

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Verbesserte Luftgüte führt zur Rückkehr sensibler Moos- und Flechtenarten

Das Schöne Muschelschüppchen (Normandina pulchella) und das Hängende Widerhakenmoos (Antitrichia curtipendula) sind Flechte und Moos des Jahres 2024

Wolfgang von Brackel & Norbert Stapper

Die Wahl fiel dieses Jahr auf zwei Arten, die nach massiven Bestandseinbußen während der Zeiten hoher Belastung der Luft mit Schadstoffen nun wieder eine, wenn auch unterschiedlich starke, Zunahme erkennen lassen. Dies ist dem Wunsch geschuldet, mit den Arten eine positive Botschaft zu übermitteln ‒ leider geht dies auch nicht ohne Wermutstropfen ab.

Warum sind Flechten und Moose gegenüber Luftschadstoffen so empfindlich? Im Gegensatz zu Höheren Pflanzen besitzen sie kein effektives Abschlussgewebe und nehmen Wasser mit der gesamten Oberfläche auf. Insbesondere die epiphytischen, d.h. die auf der Rinde lebender Bäume wachsenden Arten sind für ihre Wasserversorgung allein auf den Regen bzw. Tau angewiesen und haben sich durch eine rasche Wasseraufnahme bei der ersten Benetzung an diese Mangelsituation angepasst. Dadurch bekommen sie aber auch die besonders hohe Schadstofffracht der ersten Regen- oder Nebeltropfen ab, wenn die Luft noch nicht ausgewaschen ist. Zudem sind Moose und Flechten auch oder gerade im Winterhalbjahr aktiv, wenn die Luft durch Hausbrand und Inversionslagen besonders hoch belastet ist. Alle Arten leiden darunter, manche kommen damit einigermaßen zurecht, andere gar nicht. Unsere beiden Arten des Jahres gehören zu der letzteren Gruppe.

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(Normandina pulchella, Foto: N. Stapper).

Auch schon vor der Industrialisierung waren Braun- und Steinkohle verfeuert worden, doch erst mit deren massenhaftem Einsatz in der Industrie und zur Stromerzeugung sowie dem Bau hoher Schornsteine griffen die Emissionen, allen voran Schwefeldioxid, weit ins Umland der Städte und zeigten hier ihre verheerenden Wirkungen. Jetzt traten die empfindlichen Epiphyten nicht nur in den Städten und in ihrem Umgriff, sondern im ganzen Land außerhalb der Gebirge ihren Rückzug an. Das war die Zeit des Sauren Regens und der Epiphytenwüsten. Durch Rauchgasentschwefelung und das Verfeuern schwefelarmer Brennstoffe wurden die Schwefeldioxidimmissionen erheblich reduziert, und mit Beginn der 1990er begannen viele Flechten und Moose mit der Wiederbesiedlung der Städte. Für Arten, die leichte Diasporen erzeugen (sexuell erzeugte Sporen, vegetativ erzeugte Soredien und Brutkörperchen) sind größere Distanzen leicht zu überbrücken. Die Bedingungen am Zielort entscheiden, ob eine dauerhafte Ansiedlung gelingt. Viele Moose aus der Gattung Orthotrichum konnten so wieder von den Roten Listen gestrichen werden, ebenso etliche Blattflechten und selbst Bartflechten aus der Gattung Usnea. Die Staubige Kuchenflechte (Lecanora conizaeoides) jedoch, die aufgrund ihrer hohen Toleranz gegenüber Säureeintrag oft als einzige Flechtenart ausgeharrt hatte, verschwand sehr rasch und ist heute nur noch an natürlich sehr sauren Standorten zu finden. Tatsächlich verlief diese Wiederbesiedlung jedoch nicht wie die Auslöschung, also lediglich mit umgekehrtem Vorzeichen, sondern gegenüber düngenden Luftschadstoffen (z. B. Stickoxide, Ammoniak) tolerante oder durch solche Substanzen sogar begünstigte Flechten und Moose hatten und haben die Nase vorn. Als eine Folge des Klimawandels werden einige Arten, die bislang in Deutschland selten waren oder hier zuvor nie gefunden wurden, immer häufiger und breiten sich in der Regel von Süden nach Norden und von Westen nach Osten aus. Das betrifft insbesondere Flechten, von denen einige inzwischen sogar in standardisierten Verfahren als Klimawandel-Indikatoren eingesetzt werden.

In unseren Dauerbeobachtungsprojekten oder bei der Mitwirkung an den Roten Listen zeigt sich, dass die seit rund 20 Jahren zu beobachtende Rückkehr zuvor ausgelöschter oder stark gefährdeter Arten wieder ins Stocken gerät. Dies betrifft auch solche Arten, deren Reproduktionsfähigkeit außerhalb der Reinluftgebiete eingeschränkt ist, weil sie dort keine Sporen produzieren oder Arten, die nur an historisch alten Waldstandorten vorkommen.

Der massive Eintrag von eutrophierenden Stickstoffverbindungen bewirkt, dass weit verbreitete, nährstofftolerante Arten die selteneren, an nährstoffarme Verhältnisse angepassten Arten verdrängen. Das fördert zum Beispiel Allerweltsmoose wie das Raustielige Kurzbüchenmoos (Brachythecium rutabulum) oder die Wand-Gelbflechte (Xanthoria parietina) und verdrängt Nährstoffe meidende Arten wie den Braunen Moosbart (Bryoria fuscescens).

16 Antitrichia curtipendula 002d(Antitrichia curtipendula, Foto: W. von Brackel)

Dürreperioden von mehreren Wochen oder sogar Monaten sorgen auch unter epiphytischen Moosen und Flechten für Schäden oder zumindest Konkurrenznachteile bei den feuchteliebenden Arten. Für manche Arten dürfte der Zug der Rückkehr allerdings für immer abgefahren sein, denn die für sie geeigneten Lebensbedingungen stellen sich an dem früher von ihnen besiedelten Standort gar nicht mehr ein. So ist z. B. ein zum Ende des 19. Jahrhunderts noch enorm flechtenreicher, historisch alter Waldstandort im nordrhein-westfälischen Münsterland heute im Mittel fast zwei Grad wärmer als damals. Das entspricht einem Höhenunterschied von fast 400 Metern! Selbst bei ähnlichen Niederschlagssummen wäre für trockenheitsempfindliche Arten der Stress heute höher als damals. Zudem ist dort in den zurückliegenden Jahrzehnten der Grundwasserspiegel gesunken, und es ist ungewiss, ob bzw. wann er wieder steigt. Durch den Klimawandel sind gerade die ozeanischen Arten erneut von einer Bedrohung betroffen, die wohl jede Hoffnung zunichtemacht, dass etwa die Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) wieder in ihr angestammtes Areal in Mitteleuropa außerhalb der Gebirge zurückkehrt.

Das Schöne Muschelschüppchen (Normandina pulchella) , ist die Flechte des Jahres 2024

Das Schöne Muschelschüppchen wächst vorwiegend über Moosen, hauptsächlich Lebermoosen wie Frullania oder Metzgeria, am Stamm lebender Bäume in luftfeuchter Lage. Das Lager besteht aus kleinen, blaugrünen, muschelförmigen Schüppchen, die Bestände bis zu einigen Zentimetern Durchmesser bilden können. Einmal gesehen ist die Art unverwechselbar.

Aussehen

Das Lager des Schönen Muschelschüppchens ist aus kleinen, kaum über 2 mm breiten, muschel- bis ohrförmigen Schüppchen zusammengesetzt, die teils einzeln auftreten, teils sich zu kleinen Beständen von mehreren Zentimetern Durchmesser zusammenschließen. Die einzelnen Schüppchen sind blau- oder hellgrau, matt, gelegentlich schwach konzentrisch gestreift, leicht wellig aber der Unterlage mehr oder weniger anliegend und am Rand deutlich wulstig aufgebogen. Überwiegend an den Rändern älterer Schuppen bricht das Lager zu sogenannten Soralen auf, die feine rundliche vegetative Verbreitungsorgane (Soredien) freigeben; diese Sorale können sich selten über das ganze Lager ausdehnen. Die sehr selten auftretenden Fruchtkörper (Perithecien) sind annähernd kugelig, schwarz und in das Lager eingebettet, aus dem sie auf der Unterseite deutlich herausragen; die Mündungsregion ragt nur leicht über die Lageroberseite. Die Sporen sind farblos, zigarrenförmig, bestehen aus 6‒8 Zellen und liegen zu 8 in den Sporensäcken (Asci). Die Tüpfeltests mit den üblichen Chemikalien fallen alle negativ aus.

Verwechslungen sind bei genauerem Hinsehen kaum möglich. Ähnlich sehen allenfalls sterile Schuppen verschiedener Cladonia-Arten aus, die aber in der Regel von der Unterlage mehr oder weniger abstehen und keinen wulstig aufgebogenen Rand aufweisen; auch finden sich hier die Sorale, wenn vorhanden, an der Schuppenunterseite. Die Basidiolichene Muschel-Hutflechte (Lichenomphalia hudsoniana) besitzt eher reingrüne Lagerschuppen ohne Sorale und lebt auf Rohboden, nicht an der Borke von Bäumen.

Ökologie

Normandina pulchella kommt hauptsächlich über Moosen (gerne auf Frullania) an der Borke von Laubbäumen vor, siedelt aber auch direkt auf der Borke oder an Silikatfelsen. Ihren Schwerpunkt hat sie im unteren bis mittleren Bergland (submontan bis montanen) in niederschlagsreichen, milden Lagen. Sie steigt aber auch in niedere Lagen herab und bevorzugt hier beregnete Baumstämme, gerne in Obstgärten oder in luftfeuchten, nicht zu dunklen Wäldern. Insgesamt zeigt sie eine leicht ozeanische Tendenz, d.h. eine Bevorzugung niederschlagsreicher, luftfeuchter Lagen, allerdings mit einem weiten Ausgreifen in die weniger ozeanischen Gebiete.

Verbreitung und Gefährdung

Unsere Art hat eine weltweite Verbreitung und kommt auf allen Kontinenten außer der Antarktis vor.1) In Europa reicht ihr Areal von den griechischen Inseln und Südspanien bis nach Lappland und Island, von Portugal und Irland bis zum Kaukasus. Sie kommt in Mitteleuropa von der Küste bis in montane Lagen vor und erreicht in den Alpen etwa 1500 m (Schauer 1965)

Normandina pulchella gehört zu den Arten, die seit der Verbesserung der lufthygienischen Bedingungen zum Ende des letzten Jahrhunderts, insbesondere der massiven Reduzierung der Emissionen von Schwefelverbindungen, deutlich häufiger geworden sind. Möglicherweise hat die Art nun wieder zumindest einen Teil ihres früheren Areals zurückerobert. Sie war etwa Mitte des 19. Jahrhunderts z.B. im kontinental getönten Mittelfränkischen Becken mehrfach angegeben (Krempelhuber 1861) und dann dort nie mehr beobachtet worden. Die historische wie auch die ganz neue Verbreitung legen nahe, dass es weniger das ozeanische Klima in den Gebirgen als vielmehr die geringere Luftbelastung war, die die Art dort überleben ließ. Dazu passt, dass die Art etwa in Nordamerika keineswegs eine ozeanische Verbreitung besitzt (Culberson & Hale 1966). Durch die deutliche Zunahme der Art in den letzten 20 Jahren -- es gibt inzwischen Funde an Alleebäumen in Düsseldorf -- kann sie in ganz Mitteleuropa nicht mehr als gefährdet gelten.

Biologie

Normandina pulchella verbreitet sich in Mitteleuropa fast ausschließlich durch Soredien, nur ganz ausnahmsweise werden Fruchtkörper (Perithecien) gebildet, in denen Sporen heranreifen, durch die sich die Art sexuell fortpflanzt. Interessanteweise wurde Normandina pulchella lange Zeit, möglicherweise wegen der Ähnlichkeit der Schüppchen mit Lichenomphalia, für eine Basidiolichene und die Perithecien für einen auf der sterilen Flechte parasitierenden flechtenbewohnenden Pilz gehalten. Dieser war als Sphaeria borreri beschrieben worden und wurde später Lauderlindsaya borreri genannt; erst molekulare Untersuchungen konnten zeigen, dass es sich wirklich um die Perithecien der Flechte handelt.

Parasiten und Medizin

Die kleinen Schuppen von Normandina pulchella können von einer Reihe von Parasiten befallen werden. Spezifisch für die Art sind Capronia normandinae, Globosphaeria jamesii, Cladophialophora normandinae und Tremella normandinae, während Nectria byssophila, Paranectria oropensis, Thelocarpon epibolum und Cladophialophora parmeliae auch auf einer Reihe anderer Wirtsflechten vorkommen.

Externe Links

https://www.gbif.org/species/2591021

https://britishlichensociety.org.uk/resources/species-accounts/normandina-pulchella

https://fungi.myspecies.info/all-fungi/normandina-pulchella

https://www.afl-lichenologie.fr/Photos_AFL/Photos_AFL_N/Normandina_pulchella.htm

https://en.wikipedia.org/wiki/Normandina

https://italic.units.it/index.php?procedure=taxonpage&num=1524 [reich bebildert]

http://www.flechten-ag-nordwest.de/gewinner.php

Literatur

Culberson, W. L. & Hale, M. E. 1966. The range of Normandina pulchella in North America. ‒ The Bryologist 69(3): 365‒367.

Krempelhuber, A. v. 1861. Lichenen-Flora Bayerns. – Denkschriften der Königlich Bayerischen Botanischen Gesellschaft Regensburg 4/2: 1–317.

Orange, A. & Aptroot, A. 2009. Normandina. ‒ In: Smith, C. W., Aptroot, A., Coppins, B. J., Fletcher, A., Gilbert, O. L., James, P. W. & Wolseley, P. A. (Eds). The Lichens of Great Britain and Ireland. – British Lichen Society, London: 625‒626.

Schauer, T. 1965a. Ozeanische Flechten im Nordalpenraum. – Portugaliae Acta Biol. (B) 8: 17–229.

Wirth, V., Hauck, M. & Schultz, M. 2013. Die Flechten Deutschlands. – E. Ulmer, Stuttgart.

Bilder von Normandina pulchella 

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Ein Bestand von Normandina pulchella an bemoostem Baumstamm bei Oberstaufen/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

Detail eines Bestandes von Normandina pulchella auf Moosen bei Kempten/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

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Ein Bestand von Normandina pulchella über Moosen und einem absterbenden Lager der Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) bei Fagnano/Kalabrien (Wolfgang von Brackel).

Typischerweise kommt Normandina pulchella über Lebermoosen vor, hier auf dem Gabeligen Igelhaubenmoos (Metzgeria furcata) am Taubenberg/Oberbayern (Wolfgang von Brackel).

Ein Schüppchen von Normandina pulchella im Weißachtal/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

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Zwei Schuppen von Normandina pulchella direkt auf Borke zwischen Parmeliella triptophylla am Freibergsee/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

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Normandina pulchella feucht, östlich Köln/Bergisches Land (Norbert Stapper).



Das Hängende Widerhakenmoos (Antitrichia curtipendula) ist das Moos des Jahres 2024

Das Hängende Widerhakenmoos bildet große grüne Polster auf Blockschutt oder auf der Rinde von Laubbäumen. Durch den Standort, die kräftigen Polster, die rot durchscheinenden Stängel, vor allem aber durch die an der Blattspitze rechtwinklig abstehenden Zähne ist die Art gut kenntlich.

Aussehen

Die Art bildet bis zu etliche Quadratdezimeter große, grüne bis dunkelgrüne, lockere Decken oder Hängerasen. Die aus den fadenförmigen Primärstämmchen entspringenden niederliegenden bis hängenden, bis zu 20 cm langen Sekundärsprosse sind unregelmäßig und entfernt fiederig beastet. Die 2,5‒3 mm langen Blätter liegen dem rotbraunen Stängel an oder stehen leicht ab, besonders an den Sproßspitzen sind sie oft leicht einseitswendig. Sie sind am Rand schmal umgebogen, besitzen einen herzförmigen Grund und eine lang ausgezogene scharfe Spitze. Der Rand ist vor allem gegen die Spitze scharf rechtwinklig abstehend bis zurückgebogen gezähnt (gute Lupe!). Die einfache, kräftige Rippe erreicht etwa drei Viertel der Blattlänge, an der Blattbasis finden sich meist einige kurze Nebenrippen. Die Blattzellen sind verlängert rhombisch bis linealisch, in den undeutlich abgesetzten Blattflügeln kurz rechteckig bis quadratisch, am Blattgrund rötlich verfärbt. Die selten zu beobachtenden ellipsoiden Kapseln stehen auf einem bis zu 12 mm langen glatten Kapselstiel (Seta).

Verwechslungen sind möglich mit anderen lockerrasigen Großmoosen, etwa mit dem Großen Hainmoos (Hylocomium brevirostre), Schönschnabelmoosen (Eurhynchium spp.) oder Kranzmoosen (Rhytidiadelphus spp.). Die Kombination der Merkmale roter Stängel, lang ausgezogene Blattspitze, einfache kräftige Blattrippe und rechtwinklig bis zurückgebogene Zähne am Blattrand ist jedoch eindeutig. Die sehr ähnliche Antitrichia californica hat in Europa eine mediterrane Verbreitung und kommt in Mitteleuropa (noch?) nicht vor; zu den Unterschieden siehe etwa Hugonnot (2008).

Ökologie

Antitrichia curtipendula tritt sowohl an der Rinde von Bäumen (epiphytisch) als auch auf Gestein (epipetrisch) auf. Die epiphytischen Vorkommen finden sich an Bäumen mit basenreicher Borke, so an Ahornen oder Eschen, sowohl am Stamm wie auch an größeren Ästen. Epipetrisch wächst sie auf Gesteinsblöcken, gerne in Blockhalden (Gneis, Kalk, seltener Sandstein, Granit). Gemeinsam ist den mäßig trockenen, basenreichen Standorten die geringe bis mäßige Beschattung und die luftfeuchte Lage in Gebieten mit höheren Niederschlägen. Sie ist die namengebende Art der Gesellschaft des Antitrichietum curtipendulae im Verband Antitrichion curtipendulae (Rinden-Moosgesellschaften in geschlossenen Waldbeständen, vorwiegend montan-subalpin).

Die Art ist sehr empfindlich gegenüber Luftschadstoffen (Sauer & Philippi 2000).

Verbreitung und Gefährdung

Antitrichia curtipendula im weiteren Sinne ist disjunkt in Nordamerika, Europa, den Kanarischen Inseln, Ostafrika und Taiwan verbreitet (Hedenäs 2008). Im engeren Sinne fallen die Bestände an der nordamerikanischen Westküste heraus, die zur nahe verwandten Art A. gigantea zählen, während die Bestände an der nordamerikanischen Ostküste zu A. curtipendula gehören.

In Europa besitzt die Art eine leicht atlantische Verbreitung mit einzelnen Vor- (oder Rest-)Posten im kontinentalen Bereich. Die Vorkommen häufen sich im westlichen Teil (Island, Britische Inseln, westliches Skandinavien, Spanien, Portugal, Frankreich) und klingen nach Osten aus. Interessanterweise kommt die Art nach einer Verbreitungslücke in Osteuropa wieder an der regenreichen Ostküste des Schwarzen Meeres vor und fehlt dann abgesehen von Taiwan in ganz Asien. In Mitteleuropa kommt sie von der Ebene bis ins hohe Gebirge vor. Eine Verbreitungskarte für Deutschland findet sich bei Meinunger & Schröder (2007), in der sich die enge Bindung der aktuellen Funde an die Gebirge zeigt.

Ein Vergleich mit den Karten jährlicher Niederschläge zeigt, dass sie weltweit eine starke Präferenz für Gebiete mit über 1000 mm Jahresniederschlag zeigt. Sie kommt jedoch auch in niederschlagsärmeren Gebieten vor (vor allem in Südschweden); möglicherweise weicht sie hier in regional- oder lokalklimatisch feuchtere Lagen aus.

Wegen ihrer hohen Empfindlichkeit gegenüber Luftschadstoffen ist die Art bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts, dann aber vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stark zurückgegangen und hat sich in die Gebirgslagen zurückgezogen (u.a. Frahm 1998). Außerhalb der Gebirge sind die epiphytischen Vorkommen nahezu völlig verschwunden, überdauern konnte die Art hier nur noch vereinzelt an Felsblöcken. Wegen des anderen Abflussverhaltens des Regens und der abpuffernden Wirkung des Gesteins sind auf Gestein wachsende Vorkommen von Moosen generell weniger empfindlich gegenüber sauren Niederschlägen als epiphytische. Die Karte bei Meinunger & Schröder (2007) zeigt eindrucksvoll, dass im gesamten Norddeutschen Flachland fast nur historische Vorkommen zu finden sind; die wenigen rezenten Vorkommen sind neuen Datums. Zudem beschränken sich fertile Vorkommen, die also Sporenkapseln ausbilden, weitgehend auf die höheren Gebirge. Neben den Luftschadstoffen spielen die großflächige Entwässerung der Landschaft und der Umbau der Wälder in Nadelholzmonokulturen sicher auch eine Rolle beim Rückgang der luftfeuchteliebenden Art.

Seit der Jahrhundertwende wird gelegentlich ein Wiederauftreten der Art aus einzelnen Gebieten Mitteleuropas berichtet, so aus Brandenburg (2012 zwei Wiederfunde seit 1939; Müller 2013) oder aus Sachsen (2014 5 Wiederfunde seit 1923; Biedermann et al 2014). Zweifellos haben sich die lufthygienischen Bedingungen hinsichtlich der Belastung mit Schwefelverbindungen in dem Zeitraum deutlich verbessert, so dass mit einer Wiederausbreitung der Art gerechnet werden kann. Dem steht allerdings die Schwierigkeit entgegen, dass die wenigen Vorkommen außerhalb der Gebirge kaum oder nie Sporogone bilden und damit eine Fernverbreitung so gut wie ausgeschlossen ist. Inwieweit die Wiederfunde auf Neuansiedlungen zurückzuführen sind oder ob es sich um neue Entdeckungen überdauernder Kleinstpopulationen handelt, ist schwierig zu entscheiden. Keinesfalls handelt es sich jedoch um ein massives Einwandern wie bei manchen reichlich fruchtenden Orthotrichum-Arten oder einigen Flechten, wie beispielsweise Normandina pulchella, der Flechte des Jahres 2024.

Auf den Roten Listen wird die Art unterschiedlich eingestuft: Deutschland (2018): 3 (gefährdet), Österreich (1999): 3, r2 (gefährdet, regional stark gefährdet), Schweiz (2004): LC (nicht gefährdet). Auf den Länderlisten Norddeutschlands ist die Gefährdung stärker angegeben: Mecklenburg-Vorpommern (2009): 1 (vom Aussterben bedroht), Schleswig-Holstein (2002): 1 (vom Aussterben bedroht), Niedersachsen (2011): 2 (stark gefährdet), Sachsen-Anhalt (2020): R (extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion). In Süddeutschland ist die Bedrohungslage zumindest teilweise weniger dramatisch: Bayern (2019): 2 (stark gefährdet; Alpen: * = ungefährdet, außerhalb der Alpen: 1 = vom Aussterben bedroht), hier auch ein starker Rückgang im kurzfristigen Bestandstrend! In Baden-Württemberg (2005): 3 (gefährdet).

Biologie

Antitrichia curtipendula verbreitet sich generativ durch Sporen. Die Bildung von Sporogonen ist allerdings bei schlechten Umweltbedingungen unterdrückt, dann kann nur noch eine (ineffektive) Nahverbreitung über Sprossbruchstücke erfolgen.

Externe Links

https://www.gbif.org/species/2678391

https://de.wikipedia.org/wiki/Antitrichia_curtipendula

https://www.swissbryophytes.ch/index.php/de/verbreitung?taxon_id=nism-595

https://www.britishbryologicalsociety.org.uk/wp-content/uploads/2020/12/Antitrichia-curtipendula.pdf

Literatur

Biedermann, S., Müller, F. & Seifert, E. 2014. Neu- und Wiederfunde für die Moosflora Sachsens. ‒ Herzogia 27(1): 215‒219.

Frahm, J.-P. 1998. Bemerkenswerte Moosvorkommen in der Umgebung Bonns. ‒ Decheniana 151: 95‒107.

Hugonnot, V. 2008. Antitrichia californica Sull. (Leucodontaceae) in France. Identification, distribution, habitat and communities. ‒Cryptogamie, Bryologie 29(4): 359‒385. URL: https://sciencepress.mnhn.fr/sites/default/files/articles/pdf/cryptogamie-bryologie2008v29f4a2.pdf

Meinunger, L. & Schröder, W. 2007. Verbreitungsatlas der Moose Deutschlands. − 3 Bde., Regensburg.

Müller, J. 2013. Antitrichia curtipendula (Hedw.) Brid. zurück in Brandenburg. ‒ Limprichtia 30(3): 1‒5.

Philippi, G. 2001. Leucodontaceae. – In: Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.) Die Moose Baden-Württembergs, Bd. 2: 220‒224.

Sauer, M. & Philippi, G. 2000. Moose als Bioindikatoren. – In: Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.): Die Moose Baden-Württemberg, Bd. 1: 28‒34.

Fotos von Antitrichia curtipendula

Durch Anklicken der Bilder öffnet sich jeweils eine größere bzw. vollständige Bild-Version.

Ein frisches, gut durchfeuchtetes Polster von Antitrichia curtipendula auf Kalkfelsen bei Plech/Oberpfalz (Wolfgang von Brackel).

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Bildtafel Antitrichia curtipendula (Frahm, J.-P., Stapper, N.J., Franzen-Reuter, I., 2007: Epiphytische Moose als Umweltgütezeiger. Ein illustrierter Bestimmungsschlüssel. - Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und DIN - Schriftenreihe Band 40. Düsseldorf, 152 S., davon 80 ganzseitige Farbtafeln).

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Abb. 13: Sprossspitzen von Antitrichia curtipendula (Norbert Stapper).

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Habitat von Antitrichia curtipendula in einer Blockschutthalde im Wald am Peilstein/Oberpfalz (Wolfgang von Brackel).

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Epiphytisches Vorkommen von Antitrichia curtipendula in der Wutachschlucht/Schwarzwald (aus Lüth 2019, Mosses of Europe).

Antitrichia curtipendula, trocken; Detail. Schladminger Tauern/Steiermark (Christian Berg).

17 Antitrichia curtipendula 2020 03 08 3

Antitrichia curtipendula, trocken; Detail, Buchenbach/Schwarzwald (Michael Lüth)