Text von Wolfgang von Brackel und Martin Nebel

Die Bildautoren sind in [Klammern] angegeben.
Stand: Dezember 2022

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Moose und Flechten in Gründächern - Anpassung an den Klimawandel:

Die Falsche Rentierflechte (Cladonia rangiformis) und das Geneigte Spiralzahnmoos (Tortella inclinata) sind Flechte und Moos des Jahres 2023

Wolfgang von Brackel & Martin Nebel

Die sommerliche Aufheizung unserer Städte ‒ Stichwort „Urbane Hitzeinsel“ ‒ kann durch die Begrünung von Dächern und Fassaden der Gebäude drastisch gemindert werden. Die Pflanzen wirken kühlend durch die Verdunstung von Wasser, darüber hinaus beschatten sie die Oberflächen und dämmen sowohl den Schall als auch die Wärmeübertragung. Und da selbst wenige Millimeter hohe Pflanzenrasen erhebliche Mengen Niederschlagswassers aufnehmen können, glätten Gründächer die Ablaufspitzen bei kurzen Starkregenereignissen und mindern somit die Belastung der Kanalisation. Aufgrund dieser Eigenschaften können Gründächer und begrünte Fassaden bei der Anpassung unserer Städte an die Folgen des Klimawandels eine Schlüsselrolle einnehmen. Da es die Menschheit offenbar nicht schafft, durch die Vermeidung von Emissionen den Klimawandel aufzuhalten, werden sowohl die urbane Überwärmung wie auch die Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen immer weiter zunehmen.

Das Geneigte Spiralzahnmoos (Tortella inclinata)ist Moos des Jahres 2023 [W. v. Brackel]Neben den für die Dachbegrünung häufig genutzten Blütenpflanzen Mauerpfeffer und Fetthenne (Sedum spp.), Hauswurz (Sempervivum spp.), Schnittlauch (Allium schoenoprasum), Thymian (Thymus spp.), Karthäusernelke (Dianthus carthusianorum) oder Gräsern (v.a. Festuca spp.) sollten Moose und Flechten nicht vergessen werden. Durch ihre Wuchsform und Physiologie verbessern sie die Gesamtleistung des Gründachs:

·       Die meisten Flechten und Moose haben ihr Wuchsoptimum bei deutlich tieferen Temperaturen als Blütenpflanzen. Daher sorgen sie auch im Winterhalbjahr, wenn die Blütenpflanzen weitgehend inaktiv sind, für einen Stoffaustausch (Sauerstoffproduktion und Bindung von CO2).

·       Blütenpflanzen nehmen Wasser nur über die Wurzeln auf; die Aufnahme von Wasser bei Starkregenfällen geschieht hier vor allem über das Substrat (Boden), das bei starker Austrocknung erst langsam aufnahmefähig wird. Der Transport in die Pflanze setzt stark verzögert ein. Moose und Flechten nehmen dagegen das Regenwasser über ihre gesamte Oberfläche auf und das sehr schnell, zudem halten sie zumindest kurzzeitig größere Wassermengen in den Zwischenräumen ihrer Stängel und Blätter zurück. Durch den dicht-polsterigen Wuchs können sie trotz der Kleinheit der einzelnen Pflänzchen große Mengen an Wasser aufnehmen und dann langsam an den Boden abgeben.

·       Während die Wurzeln der Blütenpflanzen vorwiegend nach unten streben und dort ein dichtes Geflecht ausbilden, schaffen Moose, Flechten und andere Organismen der „biological soil crust“ eine Schutzschicht direkt auf der Bodenoberfläche, die stark erosionshemmend wirkt. Nicht zu unterschätzen ist hier das Verkleben von ansonsten lockeren Sandkörnern und anderen Bodenteilchen durch Moos-Protonemata, Pilzhyphen (auch die der Flechten) sowie fädigen Algen und Cyanobakterien.

Die Übertragbarkeit von Flechten und Moosen ist inzwischen durch zahlreiche Versuche belegt. In der Regel genügt es, nicht zu kleine Bruchstücke der Lager bzw. Polster einfach auf den Boden aufzubringen; eine regelmäßige Durchfeuchtung in den nächsten Tagen bzw. Wochen erhöht die Anwachsrate. Etliche Arten siedeln sich auch selbstständig an.

Besonders geeignet sind selbstredend Arten, die auch in der Natur in stark austrocknenden Biotopen wie Halbtrockenrasen vorkommen. Wegen der Fähigkeit, größere Wassermengen zurückzuhalten, sind polster- oder teppichbildende Arten vorzuziehen. Dies sind unter den Moosen etwa Erd-Verbundzahnmoos (Syntrichia ruralis), Graues Zackenmützenmoose (Racomitrium canescens), die große Kalkmagerrasen-Varietät des Zypressen-Schlafmooses (Hypnum cupressiforme var. lacunosum), das Hasenpfotenmoos (Rhytidium rugosum) oder eben unser Moos des Jahres, das Geneigte Spiralzahnmoos. Unter den Flechten bieten sich weniger Arten an, da große polsterbildende Bodenflechten bei uns selten sind. Mit dem Bedingungen auf Dächern dürfte vor allem unsere Flechte des Jahres, die Falsche Rentierflechte, gut zurechtkommen.

Das Geneigte Spiralzahnmoos siedelt sich meist von alleine auf Flachdächern an, die mit einem kalkhaltigen Substrat aus feinerem Kies, Kalksplit, Ziegelbruch oder vulkanischem Material bedeckt sind. Dort breitet sich die Art relativ schnell aus und bedeckt nicht selten die ganze Fläche. Messungen haben ergeben, dass ein Quadratmeter dieses Mooses bis 13,9 l Wasser speichern kann. Auch ein stärkerer Regenguss wird so vollständig aufgenommen. Die große Oberfläche der Moose, bei manchen Arten erreicht sie das 30-fache der Grundfläche, bewirkt, dass das aufgenommene Wasser auch schnell wieder verdunstet, besonders wenn die Sonne scheint, es warm ist und ein Wind weht. So ist das Moos oft schon nach mehreren Stunden so trocken, dass es weiteren Regen aufnehmen kann.

Starkregenereignisse, die in neuester Zeit zugenommen haben, belasten die Kanalisation der Städte erheblich. Für viele Städte bedeute dies, dass die Kanalisation die Wassermengen nicht mehr fassen kann und deshalb ausgebaut werden muss. Für Hamburg sollen sich die Kosten dafür auf bis zu 10 Milliarden Euro belaufen. Bemooste Flächen, nicht nur auf Dächern, können dazu beitragen den Abfluss deutlich zu verringern. Ein Hektar Moosfläche könnte so knapp 140 m³ Regenwasser in kurzer Zeit aufnehmen. Das ist die Menge, die eine 3‒4-köpfige Familie im Jahr an Wasser verbraucht.

Extensives Gründach mit Höheren Pflanzen, Moosen und Flechten_[NJStapper]Ein weiterer Aspekt bei Moosflächen ist die bei der Verdunstung entstehend Abkühlung. Dazu wurde die Verdunstung eines feuchten Moospolsters der Moosart (Ctenidium molluscum), die bei der Wasseraufnahme ähnliche Werte erreicht wie Tortella inclinata, bei 20° und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 40-60 % gemessen. Dabei ergab sich eine Verdunstung von 1,8 l Wasser pro m² und Tag. Umgerechnet auf eine 30 m² große Moosfläche, die regelmäßig bewässert wird, würde dies in fünf Monaten (Mai-September) eine Verdunstungsleistung von 4.800 kW/h bedeuten. Das ist mehr als der Stromverbrauch in einem Einfamilienhaus mit 4 Personen (4.500 kW/h pro Jahr).

Unsere Städte sind bis zu 3 Grad wärmer als das Umland. Das Niederschlagswasser verschwindet schnell in der Kanalisation, dadurch sinkt die Luftfeuchtigkeit und die kühlende Verdunstung. Dazu kommt die Wärme aus den Gebäuden. Sonnenstrahlen werden nicht vom Pflanzengrün aufgenommen, sonders reflektiert oder erwärmen den dunkeln Asphalt. Gegen die Erwärmung der Städte hilft grün und blau. Grün steht Pflanzen, meist sind Bäume gemeint, blau für Wasser. Die Moose liefern beides. In Zeiten der Klimaerwärmung brauchen wir jede Hilfe.

Als Wermuttropfen soll hier noch hinzugefügt werden, dass Moose sehr langsam wachsen und nicht leicht zu kultivieren sind. Hierin ist auch der Grund zu suchen, dass Moose nicht in viel größerem Umfang genutzt werden. Es gibt jedoch in den letzten Jahren Fortschritte auf dem Gebiet, die Hoffnung machen. Diese Arbeiten kosten Zeit und Geld. Eine entsprechende Förderung fehlt aber zurzeit.

Die Falsche Rentierflechte, Cladonia rangiformis, ist die Flechte des Jahres 2023

Die Falsche Rentierflechte bildet bei ungestörtem Wuchs auf offenen, basenhaltigen Böden oder in lückigen Magerrasen große Polster von bis zu zehn Zentimetern Höhe und mehreren Dezimetern Durchmesser. Von den echten Rentierflechten (Cladonia subgen. Cladina) ist sie durch das Vorhandensein von zumindest einzelnen Phyllocladien („Blättchen“) im unteren Teil der Stämmchen zu unterscheiden. Nach der Echten Rentierflechte (Cladonia rangiferina, 2009) und der Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata, 2020) ist sie die dritte Art der großen Gattung Cladonia, die als „Flechte des Jahres“ gewählt wurde.

Aussehen

Die Falsche Rentierflechte bildet (wie auch die echten Rentierflechten) bei ungestörtem Wuchs große grau- bis grün-weißliche oder fast braune Polster von bis zu acht Zentimetern Höhe und mehreren Dezimetern Durchmesser. Die hohlen Stämmchen (Podetien) sind mehrfach verzweigt, die Zweige sparrig allseitig nach (schräg) oben ausgerichtet. Blättchen (Phyllocladien) finden sich nur in geringer Zahl vorwiegend im unteren Bereich der Stämmchen. Die Oberfläche der Stämmchen ist grün gescheckt auf weißem Grund, vor allem die fast dornigen Spitzen sind oft gebräunt. Becher werden keine ausgebildet, die Achseln der Verzweigungen sind in der Regel geschlossen. An den Spitzen der Stämmchen finden sich regelmäßig kleine braune Pycnidien, selten sind dagegen in Mitteleuropa die deutlich größeren braunen Apothecien.

Verwechslungen sind möglich mit den echten Rentierflechten (Cladonia subgen. Cladina), die aber niemals Phyllocladien an den Stämmchen ausbilden, nicht-berindete Stämmchen besitzen und deren Äste bei den meisten und häufigeren der bei uns vorkommenden Arten nicht völlig allseitig ausgerichtet sind. Weiter können die Gabel-Säulenflechte (Cladonia furcata) oder die Rentier-Säulenflechte (Cladonia subrangiformis) Anlass zu Verwechslungen geben. Letztere sind aber meist brauner, nicht so auffallend gescheckt und weniger verzweigt; im Zweifelsfall kann ein Tüpfel-Test mit Kalilauge (K) bzw. para-Phenylendiamin (P) weiterhelfen: alle Chemotypen reagieren K+ gelb, der häufigere P‒; Cladonia fucata reagiert meist K‒ und P+ rot, Cladonia subrangiformis K+ gelb und P+ orangerot.

Ökologie

Cladonia rangiformis kommt an besonnten, warmen Standorten auf kalk- oder zumindest basenhaltigen, trockenen Böden, etwa über skelettreichen Kalkböden auf offenen Felstriften oder in Küstendünen, vor. In den hier nicht zu dichten Magerrasen konkurriert sie durchaus mit den Blütenpflanzen. Bei höherem Nährstoffangebot kann sie sich gegen deren Konkurrenz nicht mehr behaupten. In den Kalkgebirgen kann sie als Charakterart der Brometalia gelten, während sie in den Sandgebieten und an den Küsten im basenreichen Flügel der Corynephoretalia vorkommt. Im Gegensatz zu den echten Rentierflechten meidet sie als xerotherme Art weitgehend die Wälder.

Verbreitung und Gefährdung

Cladonia rangiformis ist weltweit in den warm-gemäßigten und warmen Regionen beider Hemisphären (mit wenigen Nachweisen auf der Südhalbkugel) verbreitet. In Europa reicht ihr Verbreitungsgebiet von Kreta und Sizilien bis nach Norwegen und Island; dort und am Ural erreicht sie gerade die Arktis, dringt aber nicht weiter nach Norden vor. Sie kommt in Mitteleuropa von der Küste bis in montane, höchstens subalpine Lagen vor.

Auch wenn die Falsche Rentierflechte regional noch ziemlich häufig ist, leidet sie jedoch unter der allgemeinen Eutrophierung der Landschaft und der Nutzungsauflassung bzw. Umwandlung von basenreichen Magerrasen. Trittbelastung, auch zu starke Beweidung, verträgt sie wegen ihres strauchigen Wuchses nur schlecht. Sie gilt daher in Deutschland als gefährdet (3), in der Schweiz als national bedroht (EN) und in Österreich bundesweit als ungefährdet, regional aber als stark gefährdet (2).

Biologie

Cladonia rangiformis verbreitet sich in Mitteleuropa nur ausnahmsweise und unter optimalen Bedingungen durch Ascosporen, die in den braunen Apothecien an den Zweigenden gebildet werden. Ansonsten ist die Flechte auf die Verbreitung durch Bruchstücke ihrer Podetien angewiesen, die jedoch, sofern sie geeignete Standortbedingungen finden, problemlos zu neuen Polstern heranwachsen. 

Sie enthält als sekundäre Metaboliten (Inhaltsstoffe) Atranorin und Rangiformsäure, dazu je nach Chemotyp Norrangiformsäure, Fumarprotocerarsäure oder Psoromsäure. 

Parasiten

Cladonia rangiformis wird von einer ganzen Reihe pilzlicher Parasiten befallen: Arthonia rangiformicola, Brackelia lunkei, Cladosporium licheniphilum, Didymocyrtis cladoniicola, D. foliaceiphila, Epicladonia sandstedei, E. simplex, E. stenospora, Epithamnolia longicladoniae, Lichenoconium pyxidatae, Merismatium heterophractum, Niesslia cladoniicola, Penttilamyces lichenicola, Roselliniella cladoniae, Talpapellis beschiana und Zyzygomyces bachmannii. Während die meisten der genannten Arten in den dichten Polstern kaum sichtbar werden, fällt die letztgenannte Art sofort durch die bräunlichen Basidiomata auf, die die ansonsten mehr oder weniger gerade aufwärts wachsenden Podetien der Wirtsflechte zu Verbiegungen zwingen. Als Jugendparasit tritt zu dem Parasitenspektrum die Flechte Diploschistes muscorum hinzu.

Links (Sie verlassen damit die BLAM-Homepage)

https://britishlichensociety.org.uk/sites/default/files/Cladonia%20rangiformis.pdf

https://www.gbif.org/species/7246697

https://www.afl-lichenologie.fr/Photos_AFL/Photos_AFL_C/Cladonia_rangiformis.htm

https://it.wikipedia.org/wiki/Cladonia_rangiformis

https://italic.units.it/index.php?procedure=taxonpage&num=825 [reich bebildert]

Literatur

James, P. W. 2009. Cladonia. ‒ In: Smith, C. W., Aptroot, A., Coppins, B. J., Fletcher, A., Gilbert, O. L., James, P. W. & Wolseley, P. A. (Eds). The Lichens of Great Britain and Ireland. – British Lichen Society, London: 309‒

Wirth, V., Hauck, M. & Schultz, M. 2013. Die Flechten Deutschlands. – E. Ulmer, Stuttgart.

 

Bilder von Cladonia rangiformis

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Cladonia rangiformis, Habitus; Kalkmagerrasen um Hochmutting bei München [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, Habitus; Kalkmagerrasen um Hochmutting bei München [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, kalkhaltiger Sandmagerrasen am Hainberg bei Nürnberg [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, kalkhaltiger Sandmagerrasen am Hainberg bei Nürnberg [W. v. Brackel]
 

Cladonia rangiformis, Kalkmagerrasen auf der Hoibirg, Fränkischer Jura [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, Kalkmagerrasen auf der Hoibirg, Fränkischer Jura [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, Gips-Trockenrasen auf den Külsheimer Gipshügeln, Windsheimer Bucht, Franken [W. v. Brackel] 

Cladonia rangiformis, Gips-Trockenrasen auf den Külsheimer Gipshügeln, Windsheimer Bucht, Franken [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, Sandmagerrasen bei Röhrach, Franken [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis, Sandmagerrasen bei Röhrach, Franken [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis in feuchtem Zustand, mit Apothecien; Oberviechtach, Oberpfälzer Wald, ‚Bayern [W. v. Brackel]

Cladonia rangiformis in feuchtem Zustand, mit Apothecien; Oberviechtach, Oberpfälzer Wald, ‚Bayern [W. v. Brackel]
 

Das Geneigte Spiralzahnmoos (Tortella inclinata) ist das Moos des Jahres 2023

Das geneigte Spiralzahnmoos bildet bis zu 3 cm hohe, dichte, hell- bis gelbgrüne Rasen auf offenen Kalkrohböden und ist durch den Standort, die Bildung ausgedehnter Bestände und seine kurz lanzettlichen, feucht aufrecht abstehenden und trocken gekräuselten Blätter gut kenntlich.

Aussehen

Die Art tritt in bis zu mehreren Quadratmeter großen Rasen auf. Die Sprosse sind aufrecht, gleichmäßig dicht beblättert und im unteren Stängelteil mit einem Filz aus einzellschichtigen Fäden (Rhizoiden) besetzt. Die feucht aufrecht abstehenden, trocken gebogenen, eingedrehten bis gekräuselten Blätter sind lanzettlich, schwach wellig und enden ziemlich plötzlich in einer kapuzenförmigen Spitze einer aus der austretenden Rippe gebildeten Stachelspitze. Die Zellen im oberen Blattteil sind mehr oder weniger rundlich quadratisch, dicht mit Papillen besetzt und bilden eine mehrlagige, undurchsichtige Lamina. Im unteren Blattteil sind die Zellen dagegen rechteckig, dünnwandig, glatt und bilden eine einzellschichtige, durchscheinende Lamina; beide Bereiche sind durch eine steil V-förmige Linie scharf voneinander getrennt. Die unten rötliche, oben gelbliche Seta trägt eine länglich eiförmig-zylindrische, oft etwas eingekrümmte Kapsel mit fadenförmigen, spiralig gewundenen Peristomzähnen, einem langschnäbligen Deckel sowie einer schmalen und langen, kapuzenförmigen Kalyptra. Ein wichtiges mikroskopisches Merkmal sind die glatten länglichen Zellen, die die Rippe dorsal und ventral bedecken.

Verwechslungen sind bei gut ausgebildeten Polstern in Kalkmagerrasen kaum möglich. Die nahe verwandte Tortella tortuosa greift gelegentlich von ihren Felsstandorten in steinige Magerrasen über, ist aber durch ihre viel längeren und allmählich scharf zugespitzten Blätter leicht zu unterscheiden. Die Arten des Tortella bambergeri-Komplexes unterscheiden sich durch brüchige Blattspitzen. Ebenfalls in Kalkmagerrasen treten gerne dichte Polster von Encalypta vulgaris auf, die aber breitere, stumpfliche Blätter besitzt, kein Peristom aufweist und eine mützenförmige Kalyptra hat.

Ökologie

Tortella inclinata ist eine basenliebende Pionierart auf Kalkrohböden aller Art, die neben ihren natürlichen Vorkommen auf Felsköpfen und -absätzen, Kalkmagerrasen, Gletschervorfeldern sowie auf Schotterflächen an Fluss- und Seeufern gerne auch in Kiesgruben und Steinbrüchen, an Böschungen, auf dem Mittelstreifen von Schotterwegen, Gleisschotter, auf Mauern oder auf Kiesdächern vorkommt. Sie ist die Charakterart einer eigenen Gesellschaft, des Tortelletum inclinatae. Charakteristische Begleiter sind Abietinella abietina, Barbula convoluta, Didymodon spp., Ditrichum flexicaule, Encalypta vulgaris, Tortella tortuosa und Trichostomum crispulum.

Die lichtliebende und trockenheitsresistente Art hat sicher eine hohe Eignung zur Dachbegrünung.

Verbreitung und Gefährdung

Die Art ist nahezu weltweit verbreitet (Europa, Asien, Afrika, Nord- und Südamerika, Australien)1). In Europa erstreckt sich ihre Verbreitung vom Mittelmeergebiet, wo sie eher selten ist, bis nach Nordnorwegen und von Irland und Portugal bis zum Kaukasus. In Mitteleuropa ist sie in den Kalkgebieten weit verbreitet und steigt von der Küste (hier wie im ganzen Norddeutschen Flachland selten und vor allem an Sekundärstandorten) bis in die alpine Stufe; in der Schweiz liegt ihr höchster Fundort bei 2867 m3). Eine Verbreitungskarte für Deutschland findet sich bei Meinunger & Schröder (2007).

Da die Art freudig Sekundärlebensräume wie Kiesgruben und Schotterflächen aller Art besiedelt, ist sie in Mitteleuropa nicht gefährdet; sie ist auch auf keiner der Roten Listen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz aufgeführt. Auch in der IUCN-Liste für Europa wird sie unter „Least Concern – LC“ geführt. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre natürlichen und halbnatürlichen Lebensräume wie lückige Kalkmagerrasen und Kiesflächen an Fluss- und Seeufern im letzten halben Jahrhundert extrem zurückgegangen sind und sich teilweise immer noch im Rückgang befinden.

Biologie

Die Art ist zweihäusig, weshalb die Bildung von Sporophyten nicht häufig ist. Die Sporophyten sind sowohl hauptsächlich in natürlichen Lebensräumen, aber auch an Sekundärstandorten zu finden, wo weibliche und männliche Pflanzen nebeneinander vorkommen. Tortella inclinata ist aber in der Lage, sich durch das Abbrechen und Verwehen bzw. Verschleppen einzelner Stängel generativ zu verbreiten; dass dies gut funktioniert, zeigt die relativ rasche Besiedlung von Sekundärhabitaten der Art.

Links (Sie verlassen damit die BLAM-Homepage)

1) https://www.gbif.org/species/2671373

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Tortella_inclinata

3) https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/187069/1/tortella_inclinata_swissbryophytes_20200417.pdf

Literatur

Meinunger, L. & Schröder, W. 2007. Verbreitungsatlas der Moose Deutschlands. − 3 Bde., Regensburg.

Ahrens, M. 2000. Pottiaceae. – In: Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.) Die Moose Baden-Württembergs, Bd. 1: 230‒370.



Bilder von Tortella inclinata

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Große Rasen von Tortella inclinata auf einer Kiesfläche am Böhmerweiher bei München [W. v. Brackel]

Große Rasen von Tortella inclinata auf einer Kiesfläche am Böhmerweiher bei München [W. v. Brackel]

Tortella inclinata, Kalkmagerrasen um Hochmutting bei München [W. v. Brackel]

Tortella inclinata, Kalkmagerrasen um Hochmutting bei München [W. v. Brackel]

Tortella inclinata, fruchtend, Kalkmagerrasen am Mäusberg über dem Maintal, Franken [W. v. Brackel]

Tortella inclinata, fruchtend, Kalkmagerrasen am Mäusberg über dem Maintal, Franken [W. v. Brackel]

Tortella inclinata in trockenem Zustand, Kalkmagerrasen bei Straubing, Niederbayern [W. v. Brackel]Tortella inclinata in trockenem Zustand, Kalkmagerrasen bei Straubing, Niederbayern [W. v. Brackel]