Die Bildautoren sind in [Klammern] angegeben. Stand: November 2016
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Die Besiedlung von Kalkfelsen – insbesondere der steilen und besonnten Partien – stellt für die meisten Pflanzen und andere photosynthetisch aktive Organismen eine kaum zu meisternde Herausforderung dar. Fehlender Wurzelraum, Nährstoffarmut, Trockenheit und starke Sonneneinstrahlung ermöglichen es nur einigen Spezialisten, hier Fuß zu fassen.
Während Ritzen und Spalten auch noch von einigen Blütenpflanzen erobert werden können, finden sich an den mehr oder weniger glatten Wänden nur noch Moose, Flechten, Cynobakterien und einige wenige Algen.
Unter den Moosen sind dies vor allem polsterförmig wachsende Arten der Gattungen Kissenmoose (Grimmia) und Spalthütchen (Schistidium), während mattenbildende Arten zumindest kleine Ansatzpunkte in Form von Spalten, Ritzen oder Verebnungen und eine gewisse Beschattung benötigen. Zu letzteren gehört das Weiche Kamm-Moos (Ctenidium molluscum), unser Moos des Jahres 2017.
Die Extremstandorte der steilen, stark besonnten Wände sind der Lebensraum einer Vielzahl von Flechten, die dank spezieller Anpassungen gegen Austrocknung und Hitze gefeit sind. Neben vielen sehr unauffälligen, teilweise im Gestein lebenden Arten der Gattungen Warzenflechten (Verrucaria, Bagliettoa) oder Zeichenflechten (Opegrapha) sind dies vor allem die leuchtend gelben oder orange-gelben Arten der Gattung Schönfleck (Caloplaca im weiteren Sinne). Einer ihrer Vertreter ist Hepps Schönfleck (Variospora flavescens), unsere Flechte des Jahres 2017.
Die Lebensgemeinschaften von Kalkfelsen sind in ganz Mitteleuropa außerhalb der Alpen bedroht und bedürfen eines besonderen Schutzes. Neben der direkten Zerstörung durch Straßenbau, Bebauung oder Abbau setzt ihnen die Umwandlung von Laubwäldern in Nadelholzforsten (mit stärkerer Beschattung vor allem in den Wintermonaten) zu. Die allgemeine Eutrophierung durch Stickstoffverbindungen aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie ermöglicht es Sträuchern und Bäumen in den ehemals gehölzfeindlichen Spalten und Ritzen Fuß zu fassen, was zu einer Beschattung und Verdrängung der lichtliebenden Arten führt. Durch die Aufgabe der Wanderschäferei verbuschen Halbtrockenrasen und die hier oft vorkommenden Felsausragungen.
Wegen der starken Bedrohung der Lebensgemeinschaft der Kalkfelsen sind diese im Anhang I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU aufgeführt (LRT 8210, Kalkfelsen mit Felsspaltenvegetation). Diese Lebenraumtypen sind "Natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen".
Hepps Schönfleck, Variospora flavescens, ist die Flechte des Jahres 2017
Hepps Schönfleck ist eine auffällige Flechte nackter Kalkfelsen. Der orange-gelbe rosettenförmige Thallus erreicht mehrere Zentimeter Durchmesser und ist im Inneren meistens mit Fruchtkörpern besetzt. Er gehört zur großen Sammelgattung Caloplaca, die kürzlich in etliche kleinere Gattungen aufgeteilt worden ist.
Aussehen
Das gelbe oder orange-gelbe Lager bildet dem Gestein eng anliegende Rosetten von 2 bis über 10 cm Durchmesser. Die leicht gewölbten, matten und manchmal etwas bereiften Lappen der Rosette schließen eng aneinander und fächern nur am Rand leicht auf. Im Inneren ist der Thallus aeroliert (gefeldert) oder unregelmäßig zerrissen, oft auch weißlich erodiert. Hier sitzen in der Regel reichlich Fruchtkörper, die sich meist farblich vom Thallus abheben: ihr Rand ist noch etwa dem Thallus gleichfarben, die Scheibe ist jedoch in der Regel dunkler orange. Die zweizelligen Sporen sind zitronenförmig und weisen ein breites Septum auf. Der photosynthetisch aktive Partner in der Flechte ist eine trebouxioide Alge. Das für die orange-gelbe Farbe verantwortliche Parietin verfärbt sich bei Zugabe von Kalilauge sofort tief violett.
Ähnliche Arten an Kalkfelsen sind der kleinere, meist deutlich weiß bereifte Orangerote Schönfleck (Variospora saxicola = Caloplaca s.) mit kaum zerteilten (gegabelten) Randlappen, der meist größere Mauer-Schönfleck (Caloplaca aurantia) mit auffällig verflachten Lappenenden sowie die Zierliche Gelbflechte (Rusavskia elegans = Xanthoria e.), deren Thallus bis ins Zentrum in schmale, stark gewölbte und mit dem Gestein nicht eng verwachsene Lappen zerteilt ist.
Ökologie
Hepps Schönfleck siedelt direkt auf dem nackten Kalk- oder Dolomitfels, gerne an etwas nährstoffreicheren Standorten (Staubanflug) und verlangt leichte bis volle Besonnung. Die Art besiedelt auch sekundäre Lebensräume wie gemörtelten Backstein, Mauern und Grabsteine.
Verbreitung und Gefährdung
Variospora flavescens ist in Europa, den angrenzenden Teilen Asiens und Afrikas sowie auf den Makaronesischen Inseln verbreitet und findet sich von den Küsten bis in die höheren Gebirge. In Mitteleuropa hat sie ihre Schwerpunkte in den Kalkgebirgen (Kalkalpen, Schwäbische und Fränkische Alb, Muschelkalkgebiete), dringt aber auch ins Flachland vor, wo sie auf kalkhaltige anthropogene Substrate ausweicht.
In Deutschland kommt die Art in nahezu allen Bundesländern vor und gilt insgesamt als nicht gefährdet. Allerdings wird sie in einigen nördlichen Bundesländern mit unterschiedlichen Gefährdungsgraden (von gefährdet – 3 bis extrem selten – R) auf den Roten Listen geführt. In Österreich und in der Schweiz ist die Art nicht auf den Roten Listen verzeichnet (wobei für die Schweiz gesteinsbewohnende Arten nicht in der Roten Liste behandelt sind).
Biologie
Wie etliche andere Schönfleck-Arten ist Hepps Schönfleck hart im Nehmen, was Sonneneinstrahlung und Trockenheit angeht. Vor Schädigungen durch das UV-Licht schützt sie der Farbstoff Parietin. Da Flechten keinen Verdunstungsschutz besitzen, trocknen sie in der Sonne völlig aus und verfallen in einen inaktiven Ruhezustand, in dem sie nötigenfalls monatelang überleben können. Besondere Inhaltsstoffe (wie der Zucker Trehalose) schützen die Proteine vor Denaturierung und nach dem Wiederbefeuchten kommen rasch Reparaturmechanismen an der DNA in Gang.
Die Art verbreitet sich durch Ascosporen, die bei Hepps Schönfleck etwa 0,015 mm groß sind und Dank ihrer Kleinheit über weite Distanzen transportiert werden können. Die mit ihr gerne vergesellschafteten Arten Trügerischer Schönfleck (Calogaya decipiens = Caloplaca d.) und Zweifarbiger Schönfleck (Leproplaca cirrochroa = Caloplaca c.) verbreiten sich dagegen asexuell durch Soredien, der Körnchen-Schönfleck (Flavoplaca granulosa = Caloplaca g.) durch Isidien.
Parasiten und Medizin
Variospora flavescens ist die Wirtsflechte einer ganzen Reihe flechtenbewohnender Pilze, unter denen Cercidospora caudata, Weddellomyces epicallopisma und Zwackhiomyces coepulonus weitgehend auf Wirte der Sammelgattung Caloplaca beschränkt sind. Ein offenbar auf die Art beschränkter Parasit ist die Flechte Verruculopsis flavescentaria. Über eine medizinische Nutzung ist uns nichts bekannt.
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Das Weiche Kamm-Moos, Ctenidium molluscum, ist das Moos des Jahres 2017
Das Weiche Kamm-Moos überzieht großflächig Kalkfelsen vorwiegend in Wäldern und gehört mit seinem grün-goldenem Glanz und der feinen Fiederung zu unseren schönsten Moosen.
Aussehen
Ctenidium molluscum bildet große Matten, die gelbgrün bis gelbbraun gefärbt sind, einen seidigen Glanz aufweisen und eine Ausdehnung von über einem Meter erreichen können. Die Einzelpflanzen erinnern durch dichtstehende, regelmässig angeordnete Seitenästchen an kleine Farnwedel. Die Astblättchen sind gleichmäßig in eine scharfe Spitze ausgezogen, am Rand deutlich gesägt und sichelförmig einseitswendig gekrümmt. Die Rippe ist, wie auch bei den etwas größeren und breiteren Stämmchenblättern, kurz und doppelt oder fehlend.
Unter den dicht beasteten Arten mit sichelförmigen Blättchen kann es allenfalls mit dem Federmoos (Ptilium crista-castrensis) verwechselt werden, das aber deutlich faltige Blättchen besitzt und in der Regel auf sauren Substraten (Rohhumus) vorkommt. Bei dem größeren Üppigen Kamm-Moos (Ctenidium procerrimum = Hypnum p.) sind die Blattränder nicht gesägt.
Vorkommen, Verbreitung und Gefährdung
Die Art ist auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet und kommt von den Kanarischen Inseln bis über den Polarkreis vor. In Mitteleuropa ist sie von der alpinen Stufe bis an die Küste bekannt, mit einer deutlichen Bevorzugung der Kalkgebirge.
Ihren Schwerpunkt hat sie an Kalkfelsen, hier vor allem an leicht geneigten Flächen, tritt aber auch an anderen basenführenden Gesteinen oder sekundär an Betonmauern auf. Sowohl hinsichtlich des Lichtgenusses wie auch des Wasserhaushalts bevorzugt sie mittlere Standorte, meidet also einerseits voll besonnte und andererseits tiefschattige Stellen, jeweils von mäßig trocken bis feucht. Sie gilt als Kennart des Verbandes Ctenidion molluci, dem sie auch den Namen gibt.
Neben Kalkfelsen vermag die Art auch kalkreiche Niedermoore zu besiedeln und war dort ehemals weit verbreitet. Sie ist jedoch heute von vielen dieser Standorten verschwunden oder mit ihnen zurückgegangen.
Das Weiche Kamm-Moos wird in der Roten Liste Deutschlands auf der Vorwarnliste geführt (V). In den einzelnen Bundesländern reicht die Einstufung entsprechend dem Süd-Nord-Gefälle von ungefährdet bis ausgestorben (0). In der Schweiz und in Österreich gilt die Art als nicht gefährdet.
Während für die Vorkommen an Felsen der Gebirge kein Handlungsbedarf besteht, sollte in Deutschland auf den Schutz der wenigen natürlichen Vorkommen im Flachland und in den Flachmooren Wert gelegt werden.
Biologie
Die Pflanzen sind zweihäusig, und Sporogone sind in Mitteleuropa selten zu sehen. Während die vegetativen Stadien der Pflanze, wie bei vielen anderen Moosen auch, eine gewisse Schadstoffkonzentration tolerieren, wird die geschlechtliche Vermehrung schon bei geringeren Immissionsbelastungen gestört oder gar unterbunden. So können in Reinluftgebieten, z. B. an der italienischen Westküste, durchaus noch Bestände mit reichlicher Bildung von Sporenkapseln beobachtet werden. Spezielle vegetative Verbreitungseinrichtungen sind nicht bekannt.So ist die Art insgesamt weitgehend darauf angewiesen, sich durch Bruchstücke von Pflanzen vegetativ zu verbreiten.
Parasiten & Medizin
Auf Ctenidium molluscum sind die beiden parasitischen Pilze Nectria voratella und Protoventuria echinospora beschrieben worden. Über eine medizinische Verwendung des Weichen Kamm-Mooses ist uns nichts bekannt. Dagegen ist es ein beliebtes Material für Floristen. Die ausgedehnten Matten des Weichen Kamm-Mooses lassen sich leicht als Ganzes von den Felsen entfernen und werden dafür verwendet, Dekorationsgegenstände mit natürlichem Grün zu überziehen.
[Wolfgang von Brackel]
Das Weiche Kamm-Moos im Internet (externe Angebote)
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