Das Schöne Muschelschüppchen (Normandina pulchella) , ist die Flechte des Jahres 2024

Das Schöne Muschelschüppchen wächst vorwiegend über Moosen, hauptsächlich Lebermoosen wie Frullania oder Metzgeria, am Stamm lebender Bäume in luftfeuchter Lage. Das Lager besteht aus kleinen, blaugrünen, muschelförmigen Schüppchen, die Bestände bis zu einigen Zentimetern Durchmesser bilden können. Einmal gesehen ist die Art unverwechselbar.

Aussehen

Das Lager des Schönen Muschelschüppchens ist aus kleinen, kaum über 2 mm breiten, muschel- bis ohrförmigen Schüppchen zusammengesetzt, die teils einzeln auftreten, teils sich zu kleinen Beständen von mehreren Zentimetern Durchmesser zusammenschließen. Die einzelnen Schüppchen sind blau- oder hellgrau, matt, gelegentlich schwach konzentrisch gestreift, leicht wellig aber der Unterlage mehr oder weniger anliegend und am Rand deutlich wulstig aufgebogen. Überwiegend an den Rändern älterer Schuppen bricht das Lager zu sogenannten Soralen auf, die feine rundliche vegetative Verbreitungsorgane (Soredien) freigeben; diese Sorale können sich selten über das ganze Lager ausdehnen. Die sehr selten auftretenden Fruchtkörper (Perithecien) sind annähernd kugelig, schwarz und in das Lager eingebettet, aus dem sie auf der Unterseite deutlich herausragen; die Mündungsregion ragt nur leicht über die Lageroberseite. Die Sporen sind farblos, zigarrenförmig, bestehen aus 6‒8 Zellen und liegen zu 8 in den Sporensäcken (Asci). Die Tüpfeltests mit den üblichen Chemikalien fallen alle negativ aus.

Verwechslungen sind bei genauerem Hinsehen kaum möglich. Ähnlich sehen allenfalls sterile Schuppen verschiedener Cladonia-Arten aus, die aber in der Regel von der Unterlage mehr oder weniger abstehen und keinen wulstig aufgebogenen Rand aufweisen; auch finden sich hier die Sorale, wenn vorhanden, an der Schuppenunterseite. Die Basidiolichene Muschel-Hutflechte (Lichenomphalia hudsoniana) besitzt eher reingrüne Lagerschuppen ohne Sorale und lebt auf Rohboden, nicht an der Borke von Bäumen.

Ökologie

Normandina pulchella kommt hauptsächlich über Moosen (gerne auf Frullania) an der Borke von Laubbäumen vor, siedelt aber auch direkt auf der Borke oder an Silikatfelsen. Ihren Schwerpunkt hat sie im unteren bis mittleren Bergland (submontan bis montanen) in niederschlagsreichen, milden Lagen. Sie steigt aber auch in niedere Lagen herab und bevorzugt hier beregnete Baumstämme, gerne in Obstgärten oder in luftfeuchten, nicht zu dunklen Wäldern. Insgesamt zeigt sie eine leicht ozeanische Tendenz, d.h. eine Bevorzugung niederschlagsreicher, luftfeuchter Lagen, allerdings mit einem weiten Ausgreifen in die weniger ozeanischen Gebiete.

Verbreitung und Gefährdung

Unsere Art hat eine weltweite Verbreitung und kommt auf allen Kontinenten außer der Antarktis vor.1) In Europa reicht ihr Areal von den griechischen Inseln und Südspanien bis nach Lappland und Island, von Portugal und Irland bis zum Kaukasus. Sie kommt in Mitteleuropa von der Küste bis in montane Lagen vor und erreicht in den Alpen etwa 1500 m (Schauer 1965)

Normandina pulchella gehört zu den Arten, die seit der Verbesserung der lufthygienischen Bedingungen zum Ende des letzten Jahrhunderts, insbesondere der massiven Reduzierung der Emissionen von Schwefelverbindungen, deutlich häufiger geworden sind. Möglicherweise hat die Art nun wieder zumindest einen Teil ihres früheren Areals zurückerobert. Sie war etwa Mitte des 19. Jahrhunderts z.B. im kontinental getönten Mittelfränkischen Becken mehrfach angegeben (Krempelhuber 1861) und dann dort nie mehr beobachtet worden. Die historische wie auch die ganz neue Verbreitung legen nahe, dass es weniger das ozeanische Klima in den Gebirgen als vielmehr die geringere Luftbelastung war, die die Art dort überleben ließ. Dazu passt, dass die Art etwa in Nordamerika keineswegs eine ozeanische Verbreitung besitzt (Culberson & Hale 1966). Durch die deutliche Zunahme der Art in den letzten 20 Jahren -- es gibt inzwischen Funde an Alleebäumen in Düsseldorf -- kann sie in ganz Mitteleuropa nicht mehr als gefährdet gelten.

Biologie

Normandina pulchella verbreitet sich in Mitteleuropa fast ausschließlich durch Soredien, nur ganz ausnahmsweise werden Fruchtkörper (Perithecien) gebildet, in denen Sporen heranreifen, durch die sich die Art sexuell fortpflanzt. Interessanteweise wurde Normandina pulchella lange Zeit, möglicherweise wegen der Ähnlichkeit der Schüppchen mit Lichenomphalia, für eine Basidiolichene und die Perithecien für einen auf der sterilen Flechte parasitierenden flechtenbewohnenden Pilz gehalten. Dieser war als Sphaeria borreri beschrieben worden und wurde später Lauderlindsaya borreri genannt; erst molekulare Untersuchungen konnten zeigen, dass es sich wirklich um die Perithecien der Flechte handelt.

Parasiten und Medizin

Die kleinen Schuppen von Normandina pulchella können von einer Reihe von Parasiten befallen werden. Spezifisch für die Art sind Capronia normandinae, Globosphaeria jamesii, Cladophialophora normandinae und Tremella normandinae, während Nectria byssophila, Paranectria oropensis, Thelocarpon epibolum und Cladophialophora parmeliae auch auf einer Reihe anderer Wirtsflechten vorkommen.

Externe Links

https://www.gbif.org/species/2591021

https://britishlichensociety.org.uk/resources/species-accounts/normandina-pulchella

https://fungi.myspecies.info/all-fungi/normandina-pulchella

https://www.afl-lichenologie.fr/Photos_AFL/Photos_AFL_N/Normandina_pulchella.htm

https://en.wikipedia.org/wiki/Normandina

https://italic.units.it/index.php?procedure=taxonpage&num=1524 [reich bebildert]

http://www.flechten-ag-nordwest.de/gewinner.php

Literatur

Culberson, W. L. & Hale, M. E. 1966. The range of Normandina pulchella in North America. ‒ The Bryologist 69(3): 365‒367.

Krempelhuber, A. v. 1861. Lichenen-Flora Bayerns. – Denkschriften der Königlich Bayerischen Botanischen Gesellschaft Regensburg 4/2: 1–317.

Orange, A. & Aptroot, A. 2009. Normandina. ‒ In: Smith, C. W., Aptroot, A., Coppins, B. J., Fletcher, A., Gilbert, O. L., James, P. W. & Wolseley, P. A. (Eds). The Lichens of Great Britain and Ireland. – British Lichen Society, London: 625‒626.

Schauer, T. 1965a. Ozeanische Flechten im Nordalpenraum. – Portugaliae Acta Biol. (B) 8: 17–229.

Wirth, V., Hauck, M. & Schultz, M. 2013. Die Flechten Deutschlands. – E. Ulmer, Stuttgart.

Bilder von Normandina pulchella 

Durch Anklicken der Bilder öffnet sich jeweils eine größere bzw. vollständige Bild-Version.

01 Normandina pulchella 01 Oberstaufen Oberallgäu

Ein Bestand von Normandina pulchella an bemoostem Baumstamm bei Oberstaufen/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

Detail eines Bestandes von Normandina pulchella auf Moosen bei Kempten/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

03 Normandina pulchella on Lobaria pulmonaria Fagnano 01a kl

Ein Bestand von Normandina pulchella über Moosen und einem absterbenden Lager der Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) bei Fagnano/Kalabrien (Wolfgang von Brackel).

Typischerweise kommt Normandina pulchella über Lebermoosen vor, hier auf dem Gabeligen Igelhaubenmoos (Metzgeria furcata) am Taubenberg/Oberbayern (Wolfgang von Brackel).

Ein Schüppchen von Normandina pulchella im Weißachtal/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Zwei Schuppen von Normandina pulchella direkt auf Borke zwischen Parmeliella triptophylla am Freibergsee/Oberallgäu (Wolfgang von Brackel).

xxx

Normandina pulchella feucht, östlich Köln/Bergisches Land (Norbert Stapper).