Das Schöne Federchenmoos, Ptilidium pulcherrimum, ist das Moos des Jahres 2020
Das Schöne Federchenmoos wächst in dichten niedrigen Polstern an der Rinde vor allem von Nadelgehölzen. Durch die lang bewimperten Blätter und den Standort ist es gut kenntlich, an Gestein ist es mit Vorsicht vom Großen Federchenmoos zu trennen.
Aussehen
Ptilidium pulcherrimum gehört zu den beblätterten Lebermoosen, die Pflanzen sind also in Stämmchen und Blätter gegliedert. Es wächst in dichten, niedrigen Polstern, die an schattigen Standorten eher grün, an lichtreicheren eher rotbraun bis rot erscheinen. Die einzelnen Stämmchen werden bis zu 2 cm lang und sind dicht ein- bis zweifach gefiedert. Die kurzen, kaum einen Millimeter breiten Ästchen sind dicht zweizeilig beblättert, dazu tritt eine Reihe kleinerer Unterblätter. Die quer am Stämmchen angewachsenen Flankenblätter sind auf 0,6 bis 0,8 ihrer Länge in zwei bis vier Blattlappen geteilt, deren Ränder dicht mit einzellreihigen langen Wimpern besetzt sind. Die Art ist diözisch, wobei die männlichen Pflanzen kleiner als die weiblichen sind. Die aus zylindrischen bis keulenförmigen Perianthien entspringenden Sporogone bestehen aus einer langen, hyalinen Seta und einer braunen, ellipsoiden Sporenkapsel.
Von dem ähnlichen Ptilidium ciliare unterscheidet sich die Art durch die tiefere Teilung der Flankenblätter (0,6–0,8 gegenüber 0,4–0,5), die geringere Zahl von Zellen am Grund des breitesten Blattlappens (6–12 gegenüber 15–25) und die längeren Wimpern (zumindest einige länger als die Breite des dorsalen Blattlappens).
Ölologie
Die säureliebende bzw. –tolerante Art findet sich am häufigsten als Epiphyt an Bäumen mit saurer Borke, also vor allem an Nadelhölzern (u.a. Fichte, Tanne, Kiefer) und weniger an Laubhölzern mit saurer Rinde (u.a. Birke, Erle, Buche). Oft wächst sie am Stammfuß oder an den Wurzelansätzen, zudem an sich zersetzendem Holz oder an Stubben. Sie kommt auch an silikatischen Gesteinen, etwa in Blockhalden, vor; hier überschneidet sich ihr Lebensraum mit dem von Ptilidium ciliare.
Ptilidium pulcherrimum bevorzugt luftfeuchte, schattige bis lichtreiche Standorte in Wäldern in montanen Lagen, kommt aber vom Flachland bis ins Hochgebirge vor
Verbreitung und Gefährdung
Die zirkumboreale Art kommt auf der Nordhalbkugel in Nordamerika, Europa und Asien vor, wobei sie wohl nicht über den 33 Breitengrad nach Süden vorstößt. In Europa ist sie von Norditalien und Bulgarien bis nach Island und ins nördliche Fennoskandien bekannt, wobei ihre Hauptverbreitung in den Bergwäldern zwischen 800 und 1500 m liegt.11) Auf der Verbreitungskarte für Deutschland7) zeigen sich demzufolge auch große Verbreitungslücken in den Wärmegebieten des Rheintals, des Maingebiets, des Thüringer und des Mittelfränkischen Beckens sowie im Elbtal.
In den Roten Listen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wird die Art als "nicht gefährdet" geführt. In einzelnen Bundesländern Deutschlands weicht die Einstufung dagegen davon ab, so gilt die Art in Nordrhein-Westfalen als "gefährdet".
Wegen ihres Vorkommens an Nadel- und Laubgehölzen mit saurer Rinde ist sie sicher nicht durch mangelnde Standorte gefährdet, ein Handlungsbedarf zu ihrer Erhaltung besteht nicht. Auch bei ihr muss jedoch die Zukunft zeigen, wie sie mit der zunehmenden Eutrophierung der Landschaft und vor allem mit der Klimaerwärmung zurechtkommt; als überwiegend boreal-montan verbreitete Art wird sich ihre Arealgrenze möglichweise nach Norden verschieben.
Biologie
Die Art ist zweihäusig, weibliche und männliche Pflanzen befinden sich oft in direkter Nachbarschaft oder wachsen durcheinander. Eine generative Fortpflanzung sollte somit keine Schwierigkeit darstellen, wenn Perianthien und Antheridien ausgebildet werden. Dies scheint jedoch in jüngerer Zeit seltener geworden zu sein. Über eine vegetative Vermehrung oder Verbreitung ist bei der Art nichts bekannt, eine gewisse Verbreitung über Thallusbruchstücke ist jedoch wahrscheinlich.
Parasiten, Nutzung und Medizin
Ptilidium pulcherrimum ist der Wirt einer ausschließlich auf diese Art spezialisierten parasitischen Flechte, Puttea margaritella (= Lecidea m., Fellhanera m.).10,12) Die Flechte hat offensichtlich keine Schwierigkeiten, die Art sauber von Ptilidium ciliare zu trennen!
Daneben kommen einige nicht-lichenisierte Ascomyceten parasitisch auf unserer Art vor: spezifisch sind Epibryon intercapillare und Leptomeliola ptilidii, unspezifisch Bryochiton perpusillus und Microscypha cajaniensis.
Über eine Nutzung der Art ist uns nichts bekannt, was bei den geringen Mengen Materials der kleinen Art nicht erstaunt. Möglicherweise wurde sie jedoch zusammen mit anderen Lebermoosen und Laubmoosen in der traditionellen Medizin als Antibiotikum bei Hautkrankheiten und offenen Wunden eingesetzt.8,9) Dies verwundert nicht weiter, wurden doch in etlichen Laub- und Lebermoosen antimikrobielle und fungizide Substanzen nachgewiesen. Für Ptilidium pulcherrimum gelang dies Veljić et al. (2010).13)
[Wolfgang von Brackel]
Ptilidium pulcherrimum im Internet (externe Angebote)
https://de.wikipedia.org/wiki/Ptilidium_pulcherrimum
7) http://www.moose-deutschland.de/organismen/ptilidium-pulcherrimum-weber-vain
https://swissbryophytes.ch/index.php/de/verbreitung?taxon_id=nism-389
Literatur
8) Alam, A., Shrama, V., Rawat, K. K. & Verma, P. K. 2015. Bryophytes – The ignored medicinal plants. – SMU Medical Journal 2/1: 299–315.
9) Flowers, S. 1957. Ethnobryology of the Gosiute Indians of Utah. – The Bryologist 60: 11–14.
10) Poelt, J. & Döbbeler, P. 1975. Lecidea margaritella, eine an ein Lebermoos gebundene Flechte und ihr Vorkommen in Mitteleuropa. – Herzogia 3: 327–333.
11) Schoepe, G. 2005. Ptilidiaceae. – in: Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.). Die Moose Baden-Württembergs, Band 3: 378–381.
Singh, D. & Singh, D. K. 2011. Ptilidium pulcherrimum (G. Weber) Vainio (Hepaticae: Ptilidiaceae) – an addition to Indian bryoflora. – Nelumbo 53: 205–210. [ausführliche Beschreibung, viele Zeichnungen und Fotos; Zugang über ResearchGate]
12) Steenroos, S., Huhtinen, S., Lesonen, A., Palice, Z. & Printzen, C. 2009. Puttea, gen. nov., erected for the enigmatic lichen Lecidea margaritella. – The Bryologist 112: 544–557.
13) Veljić, M., Ćircić, A., Soković, M., Janaćković, P. & Marin, D. 2010. Antibacterial and antifungal activity of the liverwort (Ptilidium pulcherrimum) methanol extract. – Archives of Biological Science Belgrade 62: 381–395.
Bilder von Ptilidium pulcherrimum
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Ptilidium pulcherrimum, Habitus; Ebrach im Steigerwald, Bayern; Foto: Wolfgang von Brackel. Dieses Bild runterladen
Verrottender Baumstumpf - Beispiel für einen typischen Lebensraum von Ptilidium pulcherrimum; das flache, bräunlich gefärbte Moos ist P. pulcherrimum; Foto: Heike Hofmann.
Ptilidium pulcherrimum mit Sporophyten; dieses Exemplar wurde an dem Baumstumpf gefunden, der im oberen Bild zu sehen ist; Foto: Heike Hofmann.
Ptilidium pulcherrimum, großes Polster auf Gestein in einer Blockschutthalde; Wildenstein in der Oberpfalz, Bayern; Foto: Wolfgang von Brackel.
Ptilidium pulcherrimum, einzelnes Blättchen in mikroskopischer Ansicht; Wildschönau, Tirol;
Foto: Wolfgang von Brackel.
Ptilidium pulcherrimum, 2007 am Stammfuß einer Lärche in Finhaut (Wallis/CH); Habitus und Blatt mikroskopisch; Fotos: Norbert J. Stapper. Diese Bildtafel runterladen
Ptilidium pulcherrimum, Ölkörper und Chloroplasten in den Laminazellen; Mikrofoto: Walter Obermayer.
Ptilidium pulcherrimum, Übersichtsfoto in Wasser, man kann hier die Blättchenstellung deutlich erkennen; Foto: Walter Obermayer.