Texte und Fotos von Wolfgang von Brackel und Norbert J. Stapper, sofern nichts anders angegeben ist.
Die Bildautoren sind in [Klammern] angegeben. Stand: Januar 2019
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Rückfragen zu Moos und Flechte des Jahres richten Sie bitte an W. von Brackel.
In den vergangenen Jahren haben wir jeweils eine Flechte und ein Moos vorgestellt, die charakteristisch für einen bestimmten Standort wie Kalkfelsen oder Moore sind oder die als eine Folge bestimmter Umweltwirkungen aus ihrem Lebensraum verdrängt oder, seltenerer Fall, häufiger werden. In diesem Jahr können auch wir uns einer hochaktuellen Fragestellung nicht entziehen, den Auswirkungen des Klimawandels auf die Organismen in unserer Umwelt. Die beiden gewählten Arten, die Flechte Parmotrema perlatum und das Moos Cryphaea heteromalla, mögen dafür als Beispiel dienen.
Die Grenzen des Lebensraumes von Pflanzen und Tieren werden ganz wesentlich vom Klima bestimmt. Folglich gehören Arealverschiebungen hin zu höheren Breitengraden oder größeren Höhen über dem Meer zu den vielfach beobachtbaren Veränderungen im Zuge des globalen Klimawandels. Auch wenn andere den freiwerdenden Raum besetzen, ist insgesamt ein erheblicher Rückgang der Biodiversität zu verzeichnen.
Wirkungen des Klimawandels auf Flechten wurden zuerst aus den Niederlanden berichtet, wo sich die Flechten mit sinkenden Schwefeldioxidimmissionen zwar rasch erholten, aber bald auffiel, dass an warme Standorte angepasste ozeanische Arten häufiger und boreale Arten seltener wurden. Die gleiche Entwicklung ist auch in Deutschland zu beobachten, am deutlichsten im durchschnittlich wärmsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Das auffallendste Kennzeichen des Klimawandels ist der in den letzten 30 Jahren sogar beschleunigte Anstieg der mittleren Temperatur, in Deutschland um rund 1 Kelvin seit 1881. Doch weniger die gestiegene Temperatur selbst, sondern vielmehr damit einhergehende Veränderungen von beispielsweise der Verteilung von Niederschlägen oder der Zeiten, die übers Jahr verteilt zur Nettophotosynthese genutzt werden können, scheinen für die Flechten relevant zu sein. Man denke z. B. an milder gewordene Winter.
Moos- und Flechtenkundige aus der BLAM wirken seit vielen Jahren ehrenamtlich an der Erstellung von VDI-Richtlinien zur Erfassung von Umweltwirkungen auf Moose oder Flechten mit. So in der Arbeitsgruppe "Wirkungsfeststellung an Niederen Pflanzen" in der Kommission Reinhaltung der Luft KRdL. Deren jüngstes Produkt, die Richtline VDI 3957 Blatt 20, verwendet ausgewählte Indikatorarten zur standardisierten Kartierung lokaler Klimaveränderungen, und wie zu erwarten, sind diese "Klimawandelzeiger" im Westen von Nordrhein-Westfalen besonders häufig geworden. Unsere Flechte des Jahres 2019, Parmotrema perlatum, ist eine dieser Zeigerarten, die allerdings schon vor der Industrialisierung u.a. im NRW-Rheinland vorkam. Seit etwa 2000 ist sie dorthin auch wieder zurückgekehrt und stellenweise an 20 % der Alleebäume zu beobachten - also eine recht häufige Art. Dies ist auch einer der Gründe für die Wahl von Parmotrema perlatum zur Flechte des Jahres, denn viele andere Klimawandelzeiger-Flechten sind in weniger milden Regionen von Deutschland erheblich seltener oder fehlen (noch), wie z. B. die entlang der Rheinschiene seit 2003 kontinuierlich häufiger werdende Sternenhimmelflechte (Punctelia borreri) oder die sehr seltene Netz-Schüsselflechte (Parmotrema reticulatum).
Ebenso wie Flechten nehmen auch Moose Wasser über die gesamte Oberfläche auf. Bei Trockenheit fallen sie trocken und können so mehr oder weniger lange Zeit überleben. Im Vergleich zu Flechten liegen weniger Daten über klimawandelbedingte Arealverschiebungen vor. Doch für einige Arten scheint das der Fall zu sein, beispielseise für Cryphaea heteromalla, unser Moos des Jahres 2019.
Quellen zum Thema Klimawandelwirkungen auf Moose und Flechten:
Gignac, D. (2001): Bryophytes as Indicators of Climate Change. – The Bryologist 104: 410-420. He, X., He, K.S. Hyvönen, J. (2016): Will bryophytes survive in an warming world? – Perspectives in Plant Ecology, Evolution and Systematics 19: 49-60. VDI (2017): Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Umweltveränderungen (Biomonitoring) – Kartierung von Flechten zur Ermittlung der Wirkung von lokalen Klimaveränderungen. VDI 3957 Blatt 20 – Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf. van Herk, C.M., Aptroot, A. & van Dobben, H.F. (2002): Long-term monitoring in the Netherlands suggests that lichens respond to global warming. Lichenologist 34: 141-154.
Informationen zur Entwicklung der mittleren Temperatur in einzelnen Bundesländern etc. finden Sie auf der Homepage des Deutschen Wetterdienstes (externer Link).
[Norbert J. Stapper]
Die Breitlappige Schüsselflechte, Parmotrema perlatum, ist die Flechte des Jahres 2019
Die Breitlappige Schüsselflechte ist durch eine glatte, zum Zentrum hin gerunzelte, hellgraue Oberfläche und lange schwarze randständige Zilien gekennzeichnet. Sie besiedelt die Rinde von Laubbäumen in lichten Laubwäldern und im Offenland in milden, vorwiegend ozeanisch getönten Lagen.
Aussehen
Das in trockenem Zustand grauweiße, feucht grünliche Lager ist in breite, gerundete Lappen gegliedert, deren Ränder wellig gebuchtet, zurückgebogen und vor allem an den Lappenenden mit mehr oder weniger kopfigen Randsoralen besetzt sind. Die mit einfachen Rhizinen (wurzelähnlichen Gebilden) besetzte Unterseite ist schwarz bis auf eine hellere rhizinenlose Randzone. Besonderes Kennzeichen sind die feinen, langen, schwarzen Zilien, die sich an den Lappenrändern entwickeln und gelegentlich fehlen, wenn sie z. B. abgefressen wurden. Die für die Familie der Parmeliaceen typisch schüsselförmigen Apothecien (Fruchtkörper) kommen bei uns nur sehr selten vor.
Von den anderen, bei uns viel selteneren Arten der Gattung sowie von ähnlichen Gattungen der Parmeliaceae (Cetrelia, Hypotrachyna, Platismatia) ist sie durch die Kombination der Merkmale Vorhandensein schwarzer Zilien und kopfiger Randsorale, Fehlen von Pseudocyphellen oder ähnlichen Strukturen auf der Thallusoberseite, Fehlen von Isidien und die Gelbfärbung von Rinde und Mark bei Zugabe von Kalilauge unterschieden.
Ökologie
Die Breitlappige Schüsselflechte siedelt vorwiegend auf der Rinde von Laubbäumen und -sträuchern in lichten Laubwäldern und im Offenland in relativ niederschlagsreichen, gerne ozeanischen Lagen. Vor allem an der Küste (etwa auf den Britischen Inseln, in Skandinavien oder in Italien) kommt sie auch an Silikatfelsen oder gar auf Torf vor. Sie gilt als empfindlich gegenüber SO2-Immissionen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die Art in vielen Ländern wieder zunimmt, in Polen dagegen (wo weiterhin in großem Stil Braunkohle verfeuert wird) aber offenbar kurz vor dem Aussterben steht oder bereits ausgestorben ist.
Verbreitung und Gefährdung
Parmotrema perlatum ist eine über beide Hemisphären verbreitete temperat-subatlatische Art. Sie ist aus allen Kontinenten außer der Antarktis bekannt3). In Europa kommt sie von Sizilien bis Norwegen und von Portugal bis zur Ukraine vor. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts war die Art aus vielen Regionen Mitteleuropas nahezu verschwunden. Erst mit der Besserung der lufthygienischen Situation (bezüglich der Schwefeloxide) konnte sie wieder einwandern und ist heute insbesondere in wärmegetönten Gebieten häufig geworden.
In der Roten Liste der Flechten Deutschlands wird die Art nur noch auf der Vorwarnliste geführt, während sie in der Vorgängerliste von 1996 noch als "stark gefährdet" (2) galt. In der Schweiz gilt sie als "verletzlich" (VU), in Österreich als "gefährdet" (3).
Biologie
Die Breitlappige Schüsselflechte verbreitet sich fast ausschließlich über Soredien. Diese vegetativen Verbreitungseinheiten werden unter Aufbrechen der Rinde aus dem Mark gebildet und bestehen aus kleinsten, wattigen Kügelchen, die sowohl Hyphen des Flechtenpartners wie auch Algen enthalten. Sie werden dank ihres geringen Gewichts leicht vom Wind verbreitet und können, wo die auf geeignete Bedingungen treffen, wieder zu vollständigen Flechten auswachsen. Gelegentlich, wohl nur unter optimalen Wuchsbedingungen, verbreitet sie sich auch generativ durch Ascosporen.
Die Art enthält zahlreiche sekundäre Metaboliten (Inhaltsstoffe), darunter vor allem Atranorin und Stictinsäure, die antimikrobielle Wirkungen haben und zum Schutz gegen Angriffe von Bakterien dienen.
Parasiten und Medizin
Parmotrema perlatum ist als Wirt einer ganzen Reihe flechtenbewohnender Pilze bekannt: Abrothallus parmotrematis, Briancoppinsia cytospora, Cornutispora lichenicola, Lichenoconium erodens, Phyllosticta lichenicola, Polycoccum montis-wilhelmii, Sphaerellothecium parmotremae und Zwackhiomyces kantvilasii.
Die Art wird in Indien als Gewürz ("Black Stone Flower", "Dagar Phool") für verschiedene Fleischgerichte sowie in der traditionellen Medizin asiatischer Länder genutzt2). Eventuell ist dies auf die antimikrobielle Wirkung ihrer Inhaltsstoffe zurückzuführen. Diese machen sie für medizinische Zwecke interessant, zumal für Stictinsäure auch eine tumorhemmende Wirkung nachgewiesen wurde.
[Wolfgang von Brackel]
Parmotrema perlatum im Internet (externe Angebote)
Jabłońska, A., Oset, M. & Kukwa, M. 2009. The lichen family Parmeliaceae in Poland. I. The genus Parmotrema. – Acta Mycologica 44: 211–222.
Louwhoff, S. H. J. J. 2009. Parmotrema. – In: Smith, C. W., Aptroot, A., Coppins, B. J., Fletcher, A., Gilbert, O. L., James, P. W. & Wolseley, P. A. (Eds). The Lichens of Great Britain and Ireland. – British Lichen Society, London: 661–663.
Ranković, B. 2015. Lichen secondary metabolites. – Springer, Heidelberg, New York, Dordrecht, London.
Revathy, M., Sathya shree, S., Manimekala, N., Annadurai, G. & Ahila, M. 2015. Preliminary phytochemical investigation and antibacterial effects of lichen Parmotrema perlatum aganist human pathogens. – European Journal of Biomedical and Pharmaceutical Sciences 2: 336–347.
Wirth, V., Hauck, M. & Schultz, M. 2013. Die Flechten Deutschlands. – E. Ulmer, Stuttgart.
Fotos von Parmotrema perlatum
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Breitlappige Schüsselflechte (Parmotrema perlatum) 2018 an einem Bergahorn im Tal der Wupper, Nordrhein-Westfalen [Norbert J. Stapper]
Das Einseitswendige Verstecktfruchtmoos, Cryphaea heteromalla, ist das Moos des Jahres 2019
Das Einseitswendige Verstecktfruchtmoos wächst in kleinen Polstern an der Rinde von Laubgehölzen, gerne an Holunder, an Orten mit ausreichender Luftfeuchtigkeit.
Aussehen
Cryphaea heteromalla bildet lockere Polster aus einem kriechenden, dem Untergrund anliegenden Primärspross und schräg vom Substrat aufgerichteten, kaum verzweigten Ästen. An kurzen Seitentrieben entwickeln sich die die von lang ausgezogenen Hüllblättern überragten, länglich eiförmigen Kapseln mit einer zugespitzten Haube. Die kapselragenden Seitenzwiege stehen oft in kleinen Grüppchen in enger Nachbarschaft an einer Seite des Zweiges. Die in trockenem Zustand anliegenden, feucht abstehenden Blätter sind breit eiförmig, gleichmäßig zugespitzt und ganzrandig. Die kräftige Blattrippe erlischt vor der Blattspitze. Fruchtende Exemplare sind unverkennbar, sterile müssen sorgfältig von Leskea polycarpa unterschieden werden.
Verbreitung und Gefährdung
Die (sub)mediterran-(sub)atlantische Art kommt rund um den Atlantik auf der Nordhalbkugel vor, in Europa vor allem im westlichen und südlichen Teil. In Mitteleuropa erreicht sie die Ostgrenze ihrer Verbreitung. Als Atlantiker ist sie in den Niederlanden eine weit verbreitete und gewöhnliche Art. In Deutschland ist sie bereits sehr selten in den östlichen Bundesländern. In Polen wurde sie 2017 erstmals gefunden, Nachweise aus Österreich und Tschechien fehlen dagegen (noch?). Höhere Gebirge meidet sie offensichtlich, auch wenn sie neuerdings aus Mittelgebirgen wie demdem Harz oder Erzgebirge gemeldet wurde.
In den letzten Jahren häufen sich Fundmeldungen der Art, sie scheint sich in Ausbreitung nach Osten zu befinden. So galt sie in der Schweiz Ende des letzten Jahrhunderts noch als Rarität, seitdem sind viele Neufunde bekannt geworden. Es wird diskutiert ob die Ausbreitung der Art mit dem Klimawandel oder der Änderung der Luftqualität (Abnahme der SO2-Emissionen, Zunahme der NOx-Emissionen) zu tun hat. Sie gilt als ausgesprochen empfindlich gegenüber der Luftverschmutzung; so hat sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in den Niederlanden aus dem Landesinneren in die küstennahen Gebiete zurückgezogen, wo die Luft durch den Seewind sauberer ist. Im Landesinneren, wie auch im Westen Deutschlands zu dieser Zeit, wurde sie selten und wenn dann vor allem auf basischen Gesteinen und Beton gefunden; diese Unterlagen vermögen die Wirkungen der aus den Schwefeloxiden gebildeten Säuren zumindest abzupuffern. Wahrscheinlich ist ein Zusammenwirken der Faktoren Klimaerwärmung, Abnahme der giftigen SO2-Emissionen und Zunahme der düngenden NOx-Emissionen.
Das Holundermoos, wie es etwas weniger sperrig auch genannt wird, wächst an der Rinde von Laubgehölzen, vorwiegend an Holunder, auch an Weide oder Pappel; in der Schweiz wird ein breites Spektrum an Laubbäumen und –sträuchern besiedelt, selten dagegen der Holunder. Im 19. Jahrhundert war sie noch an einer Vielzahl von Baum- und Straucharten beobachtet worden. Sie braucht lichtreich bis mäßig beschattete Lagen mit ausreichender Luftfeuchtigkeit. Vereinzelt kommt sie auch an Felsen, Mauern oder Beton vor. Sie meidet sowohl geschlossene Waldgebiete wie auch offene, windexponierte Einzelbäume.
Die Art wird in der Roten Liste Deutschlands von 1996 noch unter "stark gefährdet " (2) geführt, in der noch nicht erschienen neuen Roten Liste wird sie aber bereits als "nicht gefährdet" erscheinen. In den Listen der einzelnen Bundesländer reicht die Einstufung von "ungefährdet" bis "ausgestorben". In der Schweiz gilt sie als "verletzlich" (VU).
Wegen ihres Vorkommens an Laubgehölzen wie Holunder, Weiden und Pappeln in halbschattiger Lage ist sie sicher nicht durch mangelnde Standorte gefährdet, ein Handlungsbedarf zu ihrer Erhaltung besteht nicht.
Biologie
Die einhäusige Art fruchtet häufig und verbreitet sich durch Sporen. Über eine vegetative Vermehrung oder Verbreitung ist bei der Art nichts bekannt.
[Wolfgang von Brackel]
Cryphaea heteromalla im Internet (externe Angebote)
Einseitswendiges Verstecktfruchtmoos, Cryphaea heteromalla; große Bildkante des verlinkten Bildes: 13 mm. [Norbert J. Stapper]
Einseitswendiges Verstecktfruchtmoos (Cryphaea heteromalla): In Hüllblätter eingesenkte Kapseln ankurzen Seitentrieben; große Bildkante des verlinkten Bildes: 5,4 mm. [Norbert J. Stapper]
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