Parmotrema perlatum WvB FdJ2019 klein
Breitlappige Schüsselflechte (Parmotrema perlatum
[Wolfgang von Brackel]   

In den vergangenen Jahren haben wir jeweils eine Flechte und ein Moos vorgestellt, die charakteristisch für einen bestimmten Standort wie Kalkfelsen oder Moore sind oder die als eine Folge bestimmter Umweltwirkungen aus ihrem Lebensraum verdrängt oder, seltenerer Fall, häufiger werden. In diesem Jahr können auch wir uns einer hochaktuellen Fragestellung nicht entziehen, den Auswirkungen des Klimawandels auf die Organismen in unserer Umwelt. Die beiden gewählten Arten, die Flechte Parmotrema perlatum und das Moos Cryphaea heteromalla, mögen dafür als Beispiel dienen.

Die Grenzen des Lebensraumes von Pflanzen und Tieren werden ganz wesentlich vom Klima bestimmt. Folglich gehören Arealverschiebungen hin zu höheren Breitengraden oder größeren Höhen über dem Meer zu den vielfach beobachtbaren Veränderungen im Zuge des globalen Klimawandels. Auch wenn andere den freiwerdenden Raum besetzen, ist insgesamt ein erheblicher Rückgang der Biodiversität zu verzeichnen.

Wirkungen des Klimawandels auf Flechten wurden zuerst aus den Niederlanden berichtet, wo sich die Flechten mit sinkenden Schwefeldioxidimmissionen zwar rasch erholten, aber bald auffiel, dass an warme Standorte angepasste ozeanische Arten häufiger und boreale Arten seltener wurden. Die gleiche Entwicklung ist auch in Deutschland zu beobachten, am deutlichsten im durchschnittlich wärmsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Das auffallendste Kennzeichen des Klimawandels ist der in den letzten 30 Jahren sogar beschleunigte Anstieg der mittleren Temperatur, in Deutschland um rund 1 Kelvin seit 1881. Doch weniger die gestiegene Temperatur selbst, sondern vielmehr damit einhergehende Veränderungen von beispielsweise der Verteilung von Niederschlägen oder der Zeiten, die übers Jahr verteilt zur Nettophotosynthese genutzt werden können, scheinen für die Flechten relevant zu sein. Man denke z. B. an milder gewordene Winter.

 

KWZ DUS Sued 03 18 NJStapper
Veränderung der Häufigkeit von Klimawandelzeigerarten (Flechten) gemäß VDI 3957 Blatt 20 zwischen 2003 und 2018 an einer Messstartion in Düsseldorf-Garath. Der Wert von 2018 (bzw. 2017) ist signifikant größer als der von 2016 (bzw. 2015), p<0,01 (Wilcoxontest, gepaarte Daten). [Originaldaten, Link (PDF, extern); Grafik: NJ Stapper].   

 

 

 

Moos- und Flechtenkundige aus der BLAM wirken seit vielen Jahren ehrenamtlich an der Erstellung von VDI-Richtlinien zur Erfassung von Umweltwirkungen auf Moose oder Flechten mit. So in der Arbeitsgruppe "Wirkungsfeststellung an Niederen Pflanzen" in der Kommission Reinhaltung der Luft KRdL. Deren jüngstes Produkt, die Richtline VDI 3957 Blatt 20, verwendet ausgewählte Indikatorarten zur standardisierten Kartierung lokaler Klimaveränderungen, und wie zu erwarten, sind diese "Klimawandelzeiger" im Westen von Nordrhein-Westfalen besonders häufig geworden. Unsere Flechte des Jahres 2019, Parmotrema perlatum, ist eine dieser Zeigerarten, die allerdings schon vor der Industrialisierung u.a. im NRW-Rheinland vorkam. Seit etwa 2000 ist sie dorthin auch wieder zurückgekehrt und stellenweise an 20 % der Alleebäume zu beobachten - also eine recht häufige Art. Dies ist auch einer der Gründe für die Wahl von Parmotrema perlatum zur Flechte des Jahres, denn viele andere Klimawandelzeiger-Flechten sind in weniger milden Regionen von Deutschland erheblich seltener oder fehlen (noch), wie z. B. die entlang der Rheinschiene seit 2003 kontinuierlich häufiger werdende Sternenhimmelflechte (Punctelia borreri) oder die sehr seltene Netz-Schüsselflechte (Parmotrema reticulatum).

 

Cryphaea heteromalla NJS Saarl 13mm klein
Einseitswendiges Verstecktfruchtmoos; Fundort: Saarland.
[Norbert J. Stapper]   

Ebenso wie Flechten nehmen auch Moose Wasser über die gesamte Oberfläche auf. Bei Trockenheit fallen sie trocken und können so mehr oder weniger lange Zeit überleben. Im Vergleich zu Flechten liegen weniger Daten über klimawandelbedingte Arealverschiebungen vor. Doch für einige Arten scheint das der Fall zu sein, beispielseise für Cryphaea heteromalla, unser Moos des Jahres 2019.

 

Quellen zum Thema Klimawandelwirkungen auf Moose und Flechten:

Gignac, D. (2001): Bryophytes as Indicators of Climate Change. – The Bryologist 104: 410-420.
He, X., He, K.S. Hyvönen, J. (2016): Will bryophytes survive in an warming world? – Perspectives in Plant Ecology, Evolution and Systematics 19: 49-60.
VDI (2017): Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Umweltveränderungen (Biomonitoring) – Kartierung von Flechten zur Ermittlung der Wirkung von lokalen Klimaveränderungen. VDI 3957 Blatt 20 – Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf.
van Herk, C.M., Aptroot, A. & van Dobben, H.F. (2002): Long-term monitoring in the Netherlands suggests that lichens respond to global warming. Lichenologist 34: 141-154.

Informationen zur Entwicklung der mittleren Temperatur in einzelnen Bundesländern etc. finden Sie auf der Homepage des Deutschen Wetterdienstes (externer Link).

[Norbert J. Stapper]